Über den Umgang mit erfolgreichen Frauen – Heute: Colleen McCullough

Sie war Neurologin, forschte und lehrte an der Eliteuniversität Yale. Dann schrieb sie „Die Dornenvögel“ und wurde damit weltberühmt. Gestern starb Colleen McCullough. Und was schreibt die größte australische Zeitung The Australian in ihrem Nachruf? Sie sei „plain of feature, and certainly overweight“ gewesen.

Screenshot theaustralian.com.au
Screenshot theaustralian.com.au

„Plain of feature“ bezeichnet im Deutschen ein unscheinbares, reizloses, unattraktives, hausbackenes Aussehen. „Certainly overweight“ bescheinigt „definitives Übergewicht“. Dennoch, so heißt es weiter in dem Nachruf, sei sie eine Frau mit Witz und Herzenswärme gewesen. Dennoch?

Sie sei eine extreme Egoistin gewesen, steht da ebenfalls, und erst viele Absätze weiter kommt ein Hinweis auf ihre wissenschaftliche Karriere – ihre Arbeit sei als herausragend angesehen worden, weshalb sie einen Ruf an die Elite-Uni Yale erhielt. Die Autorin oder der Autor des Nachrufes kommt dann aber schnell auf McCulloughs zweite Karriere zu sprechen und bescheinigt ihr ein „atemberaubendes Selbstbewusstsein“, weil sie beschloss, einen Roman zu schreiben.

1997 wurde McCullough Mitglied im Gremium für Internationale Gäste der Fakultät für Politikwissenschaften an der Universität Oklahoma. Dieser Hinweis wird gefolgt von dem Satz, es sei schwer zu verstehen, welche andere Qualifikation sie für diesen Posten mitbrächte als die gute Freundschaft zum Vorsitzenden des Gremiums, Henry Kissinger. Außerdem habe sie viele Freunde auf wichtigen Posten gehabt, darunter George Bush und Newt Gingrich.

Aus der Neurologin wird eine Krankenschwester

Zwischen diesen Spitzen kommen allerdings auch Fakten zur Sprache, und Zitate der Bestsellerautorin, z. B., dass sie noch nie Interesse an Mode oder Gewicht und trotzdem keine Probleme gehabt habe, Männer abzukriegen.

Sie war eine von Australiens „100 National Living Treasures“ und mit 24 veröffentlichten Büchern eine der bekanntesten und erfolgreichsten Schriftstellerinnen des Landes. Ein solcher Nachruf ist eine Schande.

Der deutsche Verlag von Colleen McCullough, Blanvalet, schreibt übrigens über sie:

„Sie arbeitete als Krankenschwester in England und Amerika, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete.“

Als Krankenschwester? Möglich, dass dem Verlag eine Neurologin als Autorin dieser Art von Romanen nicht ins Marketingkonzept passt(e). Möglich, dass es den Verlag überhaupt nicht interessiert(e), mit wem genau er da Geld verdiente.

Doch tragen solche vermeintlichen Kleinigkeiten auch in Deutschland immer wieder dazu bei, erfolgreiche Frauen zu diskreditieren, ihnen ihren hart erarbeiteten Erfolg abzusprechen und sie negativ darzustellen.

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thea

3 Gedanken zu „Über den Umgang mit erfolgreichen Frauen – Heute: Colleen McCullough“

  1. Bei solchen Berichten reizt es mich immer, das Ganze ins Maskuline zu übersetzen. Ich möchte gern schreiben: Unglaublich, das alles – aber leider ist es nur allzu glaublich…

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    • Stimmt, Elke, das sollte man wirklich immer wieder machen: die Namen der Frauen durch Namen von Männern ersetzen und überlegen, ob dieser Artikel wirklich so veröffentlicht werden sollte. Ich wette, dass 99 % der Artikel dann nicht veröffentlicht würden.

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