#nachgezählt: Frauen-Präsenz in Talkshows weiter auf inakzeptablem Niveau

Seit 2014 zähle ich die Anzahl von Frauen in öffentlich-rechtlichen Talkshows. Man könnte meinen, nach all der Kritik und den Debatten der letzten Jahre würde sich endlich etwas verbessern. Doch die Talkshow-Redaktionen denken überhaupt nicht daran, Frauen gleichberechtigt darzustellen.

Als ich 2014 zum ersten Mal #nachgezählt habe, wie häufig Frauen in Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender präsentiert werden, war ich entsetzt und erstaunt: entsetzt über die teils krass niedrigere Präsenz von Frauen gegenüber Männern. Und erstaunt darüber, dass das in öffentlich-rechtlichen Sendern überhaupt möglich war. Denn ich ging ganz selbstverständlich davon aus, dass Sender, die gleichberechtigt von Frauen wie Männern finanziert werden, die auf Basis des Rundfunkstaatsvertrags und des Grundgesetzes arbeiten, sich auch an deren Vorgaben halten müssen.

Waren die leichten Steigerungen von 2015 wegweisend?

Natürlich hätte es sein können, dass 2014 aus irgendwelchen Gründen ein schlechtes Jahr für die Redaktionen war, weshalb sie nur so extrem wenige Frauen in ihre Talkshows bekamen. Also habe ich 2015 noch einmal #nachgezählt. Es ergab sich ein winziger Hauch einer Tendenz nach oben. War die wegweisend? Kein bisschen.

2016 konnte ich nicht #nachzählen, doch 2017 habe ich dann wieder gezählt. Allerdings war ich etwas spät dran und konnte nur noch einen Teil der Sendungen von 2017 nachprüfen. Der Durchschnitt unterschied sich zwar nicht groß von dem der Vorjahre, aber ich wollte lieber bis 2018 warten, wenn ich noch einmal Zahlen fürs ganze Jahr bekommen konnte.

Jetzt habe ich für 2018 gezählt (Stand: 09.12.2018). Das Ergebnis ist mehr als ernüchternd:

Tortengrafik der Talkshowgäste 2018: 63,44% Männer, 36,56% Frauen. Grafik: Birte Vogel

Im Einzelnen sieht das bei den gezählten Shows so aus:

Tabelle mit den einzelnen Zahlen der Verteilung von Frauen und Männern als Gäste in den Talkshows. Grafik: Birte Vogel

An der Spitze liegen „Tietjen & Bommes“ (ehemals „Bettina & Bommes“), „Scobel“ und „Riverboat“. „Hart aber fair“ liegt weiterhin am untersten Ende der Skala.

Aber all die grünen Pfeile nach oben – das sieht doch gut aus, oder? Leider nein. Hier der Gesamtvergleich seit 2014:

Balkendiagramm mit dem Vergleich Frauen und Männer in Talkshows seit 2014 – es hat sich so gut wie nichts geändert. Grafik: Birte Vogel

Ein rasanter Anstieg des Frauenanteils in fünf Jahren um satte 1,75%. Woche für Woche hätten sie die Chance gehabt, die Frauenpräsenz zu verstärken. Woche für Woche haben sie versagt. Woran liegt das?

Was sind die Gründe für die diskriminierende Präsenz der Frauen?

In so gut wie allen E-Mails an mich und Telefonaten mit mir sagten noch fast alle, dass Sie selbstverständlich dafür seien, dass Frauen stärker in den Talkshows und im restlichen Fernsehen präsentiert würden. Dass sie selbstverständlich alles daran setzten, um mehr Frauen in ihre Sendungen zu bekommen. Aber lediglich bei zwei Talkshows ist es gelungen, die Anzahl der Frauen signifikant zu steigern: „Maybritt Illner“ (ZDF) und „Scobel“ (3Sat). Daran hat auch die öffentlichkeitswirksame, vernichtende MaLisa-Studie zur Audiovisuellen Diversität nichts geändert.

Was aber ist bei den anderen das Problem? Fast alle beteuerten auf meine Anfrage 2016, sie würden ja gerne, aber … Hier ein paar Ausschnitte aus den Antworten der Redaktionen 2016 auf meine Anfrage. Zunächst die Presseabteilung des MDR:

„Es werden nicht weniger Frauen eingeladen, sondern es stehen weniger weibliche prominente Talkgäste zur Verfügung. „Riverboat“ wendet sich als Kernzielgruppe zuerst an Frauen. Dass weniger Frauen in der Talkshow Platz nehmen als Männer, hat sicherlich auch etwas mit dem männlichen Hang zur öffentlichen Selbstdarstellungzu tun.

Außerdem gibt es beispielsweise in TV- und Kinofilmen wie Theaterstücken überwiegend mehr Männer- als Frauen-Rollen, die schließlich ihre Darsteller, die Schauspieler und Schauspielerinnen, zu TV-Stars machen.

Nichtsdestotrotz arbeitet die Redaktion von „Riverboat“ konsequent und dauerhaft daran, künftig noch mehr Frauen als Talk-Gäste für die Sendung zu gewinnen.“

So konsequent arbeiten sie daran, dass der Anteil der Frauen in der Sendung seit 2014 von 44,44% auf 38,5% gesunken ist.

Nun eine ARD-Sprecherin zu den Sendungen „Hart aber fair“ und „Maischberger“:

„Ein Stück weit liegt es sicher auch daran, dass in den Führungsetagen von Wirtschaft und Verbänden (und teils auch in der Politik) die Männer noch immer in der Überzahl sind. Doch das allein erklärt es nicht. Vielmehr beobachten wir, dass wir von Frauen, die wir anfragen, signifikant öfter Absagen bekommen, als von Männern. Und bei „hart aber fair“ wird sehr kontrovers diskutiert. Das schreckt möglicherweise Frauen eher ab als Männer, oder es entspricht nicht ihrem Diskussions-Stil. Zumindest klingt dies bei vielen Absagen von Frauen mal mehr, mal weniger offen an.“

Es lebe das Klischee. Weiter im Text:

‎“Dennoch gibt sich „Hart aber fair“ mit dem Status quo nicht zufrieden. Die Redaktion wird ihre Suche nach neuen weiblichen Talkgästen, die bislang nicht in der Gäste-Kartei sind, und die Lust haben bei „hart aber fair“ zu diskutieren, verstärken.“

Was ja ganz hervorragend funktioniert hat: Der Anteil von Frauen in der Sendung ist seit 2014 von 27,4% auf sagenhafte 29,7% gestiegen.

Die ARD-Sprecherin weiter:

„Auch bei „Maischberger“ zeigt die Erfahrung, dass Frauen öfter als Männer aus Termingründen und wegen familiärer Verpflichtungen absagen, z.B. wenn die Reise zum Studio zu weit ist oder nicht in die Wochenplanung passt. Zum anderen kommt es immer wieder vor, dass Frauen absagen – und dies auch so begründen -, weil sie sich die öffentliche Darstellung nicht zutrauen oder sich für ein Streitgespräch in einer Talkrunde nicht gerüstet fühlen. Auch erleben wir, dass Frauen weniger bereit sind, ihre operative Arbeit hinter die Öffentlichkeitsarbeit zu stellen- d.h., die Arbeit an der Sache hat für sie immer Vorrang, nicht das Reden über die Arbeit an der Sache.“

Selbst schuld, die Frauen, ist klar. Entsprechend ist der Anteil der Frauen in der Sendung seit 2014 von 38,4% auf 37,4% gesunken.

Bei Radio Bremen („3nach9“) ist man sich allerdings nicht ganz einig. Eine Redakteurin der Sendung rief mich am 25.04.2016 an, um mir das Folgende mitzuteilen (aus meinem Gedächtnisprotokoll vom selben Tag):

‚Wir differenzieren da gar nicht, wir wollen Geschichten erzählen. Für uns sind Gäste nur Gäste, wir unterscheiden nicht. Es ist kein bewusster Schritt, mehr Männer einzuladen. Daraus kann man gar keine Schlussfolgerung ziehen. Manchmal kommen Gäste einfach nicht. Mädchen haben auch nicht Frauen als Vorbilder, sondern Menschen.‘

Dass Studien (wie diese aktuelle z. B.) seit Jahren nachweisen, dass Mädchen gerade weibliche Vorbilder brauchen, um z. B. entsprechende Berufe zu ergreifen, kommentierte die Redakteurin laut meinem Protokoll mit: „Das sehe ich ganz anders.“

Der Pressesprecher von Radio Bremen hingegen antwortet in typischer Pressesprecher_innen-Manier:

„Aus der Radio Bremen-Redaktion der Talksendung „3nach9“ kann ich Ihnen mitteilen, dass diese jederzeit auf ein ausgewogenes Verhältnis von männlichen und weiblichen Gästen achtet. Sollte es jedoch zu einem unplanmäßigen Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Gästen kommen, so bemüht sich die Redaktion, dieses durch entsprechende Gäste-Einladungen in die eine oder andere Richtung auszugleichen.“

Diese Bemühungen sind auffallend häufig gescheitert: Der Frauenanteil bei „3nach9“ ist seit 2014 von 41,2% auf magere 32,9% gesunken.

Der Pressesprecher des ZDF schrieb zu „Maybrit Illner“:

„Was nun mögliche Gründe betrifft, dass nicht mehr Frauen in Talkshows zu Gast sind, hat die Redaktion „maybrit illner“ folgende Erfahrungen gemacht: Häufigere Absagen mit der Begründung: müssen arbeiten, keine Zeit für die Reise nach Berlin, müssen abends auf die Kinder aufpassen.“

Ach ja, selbst schuld, da war ja was.

Wollen sie einfach nichts an der Frauenpräsenz verbessern?

Es gibt sie zwar, die vereinzelten Redakteur_innen, denen die Diskriminierung durchaus bewusst ist, die Gleichberechtigung nicht nur als Lippenbekenntnis sehen und tatsächlich versuchen die Frauenpräsenz zu verbessern. Doch offensichtlich können sie sich nicht durchsetzen.

Wenn nun aber ausgerechnet eine politische Talkshow wie „Maybrit Illner“ und eine wissenschaftliche wie „Scobel“ es geschafft haben, den Frauenanteil in ihren Shows deutlich zu erhöhen, obwohl Frauen doch so häufig absagen usw. – warum schaffen es die anderen nicht?

Nach fünf Jahren weitgehender Unbeweglichkeit bleibt mir kein anderer Schluss, als dass den Sendungsleitungen wohl schlicht der Wille fehlt, Frauen gleichberechtigt zu präsentieren.

Interessant ist an dem Ganzen auch: Nicht eine einzige Redaktion war offiziell bereit, ihren Prozess der Gästefindung konstruktiv zu hinterfragen. Zu überlegen, ob es sinnvoll ist, sich an den Gästen anderer Sendungen und denen, die in Medienberichten erwähnt und zitiert werden zu orientieren. Insbesondere, da nun hinlänglich bekannt ist, dass Männer dort überall extrem bevorzugt werden. Nicht eine Redaktion war bereit, sich das Ziel von 50% zu setzen und alles dafür zu tun, es der Gleichberechtigung halber auch zu erreichen. Und nicht eine Redaktion war bereit, ihr Sendungskonzept zu hinterfragen, obwohl es doch seit Jahren auf einer diskriminierenden Präsentation von Frauen fußt. Nicht eine Redaktion war bereit zu überlegen, ob sie ihren Auftrag laut Rundfunkstaatsvertrag überhaupt noch erfüllt, wenn sie Frauen derart diskriminiert. Nicht ein öffentlich-rechtlicher Sender hat sich bislang dazu geäußert, ob Talkshows in dieser Form überhaupt noch tragbar sind, wenn sie in ihrer Gesamtheit Frauen so stark benachteiligen, und zwar als Gästinnen wie als Zuschauerinnen.

Was ist an dieser Diskriminierung so schlimm?

In Talkshows erhalten – je nach Format – die Teilnehmenden Öffentlichkeit für das, was sie tun und das, was sie sagen. Sie erlangen dadurch einen Status, der ihnen mehr Glaubwürdigkeit verleiht als jenen, die nicht in bundesweit ausgestrahlten Sendungen auftreten. Künstler_innen verkaufen anschließend mehr CDs und Konzertkarten, alle anderen profitieren in ihren Jobs in puncto Auftragszahlen und Beliebtheit.

Frauen sind aber in der öffentlichen Berichterstattung genauso wie z. B. bei der Preisvergabe in Kunst, Politik und Wirtschaft ohnehin schon stark unterrepräsentiert. Durch die erheblich höhere Anzahl von Talkshow-Auftritten werden Männer also noch mehr gefördert als ohnehin schon. Der Effekt ist, dass Frauen wesentlich geringere Chancen haben, sich mit ihrer Arbeit, ihrer Expertise und ihren Meinungen öffentlich darzustellen.

Neben wirtschaftlichen Auswirkungen für diejenigen Frauen führt die mangelnde Frauenpräsenz in Talkshows wie in allen anderen Medien auch dazu, dass Mädchen und junge Frauen erheblich weniger glaubwürdige, erfolgreiche weibliche Vorbilder haben. Die Auswahl für sie z. B. in puncto Berufswahl wird dadurch sehr viel geringer, da ihnen die Beispiele erfolgreicher Frauen fehlen. So tragen Talkshows auch weiterhin dazu bei, veraltete Rollenbilder von Männern als vermeintliche „Macher“ und „Experten“ und von Frauen als denen, die ihnen nur zuhören oder zuarbeiten, schön fest zu betonieren. Und mach dir nichts vor: Auch erfolgreiche Moderatorinnen wie Will, Illner und Maischberger sind in ihren Sendungen nur Stichwortgeberinnen für all die Männer, die sich dort als große Experten, herausragende Künstler und Macher mit gewichtiger Meinung profilieren dürfen.

Und all das mit Geldern, die wir Frauen den Sendern in gleicher Höhe zahlen müssen wie Männer.

Was kannst du gegen diese Diskriminierung tun?

Wie immer hast du durchaus Handlungsmöglichkeiten, um dich gegen diese Diskriminierung zu wehren:

  • Schreib den Redaktionen, dass sie endlich dafür sorgen sollen, Frauen gleichberechtigt zu präsentieren.
  • Schreib auch den Intendant_innen, dass diese Diskriminierung inakzeptabel ist.
  • Kommentiere entsprechend in den Sozialen Medien, auch und besonders bei den männlichen Talkshow-Gästen, die sich Gleichberechtigung auf die Fahnen schreiben und dann trotzdem in Sendungen fast ohne Frauen gehen.
  • Mache die Menschen in deinem Umfeld darauf aufmerksam. Sie werden das vielleicht nicht so wild finden und dir mit der alten „Es gibt ja wohl Wichtigeres“-Argumentation kommen. Aber du findest hier auf thea ausreichend Argumentationshilfen, um ihnen klarzumachen, welche schädlichen Auswirkungen selbst solche scheinbaren Nebensächlichkeiten haben können. Erst recht, wenn sie in bundesweit ausgestrahlten Medien passieren und über so lange Zeiträume unverändert bleiben.
  • Unterstütze Initiativen wie ProQuote und Medien und Blogs wie thea, die sich dafür einsetzen, dass Frauen genauso gleichberechtigt in allen Medien vorkommen wie Männer.
  • Teile diesen Beitrag in den Sozialen Medien.
  • Biete deinen Töchtern und allen anderen Mädchen in deinem Umfeld immer genügend weibliche Vorbilder aus allen Lebensbereichen, an denen sie sich orientieren können.

Denn wenn du nichts tust, wird sich auch nichts ändern, weder an der Frauen-Unterpräsenz in Talkshows noch an der mangelnden Gleichberechtigung der Frauen in unserer Gesellschaft.

 

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