Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, gestützt von Staatsvertrag und Gebührenpflicht, die selbstverständlich auch für Frauen gilt: das klingt nach dem perfekten Rezept für gleichberechtigte Berichterstattung, oder nicht? Aber wie sieht es da wirklich aus? Ich habe mal nachgezählt – diesmal beim Deutschlandfunk und seiner Sendung „Spaziergänge mit Prominenten“.
„Der erste Kuss im Programmkino um die Ecke, ein unvergesslicher Bandauftritt in der Lieblingskneipe von damals, der langersehnte Karrieresprung von hinter dem Tresen auf die Theaterbühne. Zu Lebenswegen gehören Orte, Orte erzählen Geschichten.
Ganz in diesem Sinne erkundet die Deutschlandrundfahrt in der neuen Reihe „Spaziergänge mit Prominenten“ Städte, in denen Träume geträumt, Kämpfe gefochten und Weichen gestellt wurden. Bekannte Persönlichkeiten führen uns an schicksalsträchtige Orte und geben uns so nicht nur Einblicke in das städtische Leben, sondern auch in ihr ganz persönliches.“
So kündigte der Deutschlandfunk die Sendung „Spaziergänge mit Prominenten“ im Februar 2014 an. Klingt doch ganz interessant, nicht?
Bis du dir anschaust, wie viele prominente Männer die Redaktion im Verlauf von drei Jahren in der Sendung hatte und wie viele prominente Frauen. Nachgezählt habe ich das im Online-Archiv des DLF. Einige Sendungen werden immer mal wiederholt – diese Wiederholungen habe ich nicht mitgezählt, genauso wenig wie die Pilotsendung. Denn das Bild ist auch so schon denkbar trüb:
Ja, genau: 49 Männer, 17 Frauen.
Wir Frauen müssen diese öffentlich-rechtliche Radiosendung genauso mitfinanzieren wie Männer. Aber wir müssen es hinnehmen, dass Frauen zu gerade einmal knapp 26% als prominente Gäste dabei sind.
Ich habe nicht nachgefragt, warum das so ist. Nach mehreren Jahren des Nachfragens kenne ich die Antworten schon, denn sie gleichen sich: selbstverständlich hat die Redaktion Frauen genauso auf dem Schirm; selbstverständlich wurden Frauen auch angefragt, haben aber leider immer wieder abgesagt; selbstverständlich bemühen sie sich um eine gleichberechtigte Darstellung; bla bla bla. Vielleicht wäre die Antwort aber auch gewesen: der geringe Frauenanteil sei gar kein Problem.
Warum ist der geringe Frauenanteil sehr wohl ein Problem?
Frauen machen laut Statistik die Mehrheit der deutschen Bevölkerung aus. Und doch werden sie in jedem einzelnen Lebensbereich benachteiligt. In extrem vielen Fällen sind sie entweder ganz unsichtbar oder – wie in diesem Fall – nicht einmal ansatzweise gleichberechtigt zu sehen oder zu hören.
Eine Auswirkung dessen ist, dass die Gesellschaft auf diese Weise den Eindruck gewinnt, Männer stünden im Mittelpunkt allen Seins, Männer seien erfolgreicher, Männer seien prominenter, Männer seien wichtiger, Männer hätten mehr Ahnung, Männer hätten mehr zu erzählen, Männer seien per se besser. Denn sonst wären in so einer Sendung ja viel mehr Frauen zu hören, oder etwa nicht?!
Eine andere Auswirkung ist, dass Frauen und Mädchen selbst den Eindruck gewinnen, dass es völlig egal ist, wie herausragend sie in ihrem Job sind, wie viele Preise sie gewinnen, wie viel Geld sie verdienen, was sie bereits an wichtigen Dingen erschaffen und geschafft haben, was sie in dieser Welt bewegen, was sie wissen und was sie zu sagen haben. Denn sie werden ohnehin nicht gesehen und nicht gehört.
Diese weitgehende Unsichtbarkeit wiederum hat zur Folge, dass sich auch weiterhin fast alles um Männer dreht, in der Politik, in der Kultur, in der Medizin, in einfach allen Bereichen der Gesellschaft. Sie stehen weiterhin mehrheitlich im Zentrum der Aufmerksamkeit, sie erklären uns, wie wir die Welt interpretieren müssen, sie zeigen uns – in diesem Fall – ihre Stadt und sagen uns, was daran so wichtig und interessant ist. Sie werden damit nach wie vor als der vermeintliche Maßstab aller Dinge präsentiert.
Was natürlich im realen Leben Unsinn ist, denn dadurch, dass Frauen in allen Lebensbereichen benachteiligt werden, können ja nicht nur die herausragenden Männer an die Spitze und in die Öffentlichkeit rücken, sondern auch die mittelmäßigen und die Versager. Hauptsache, sie sind Männer.
Das wiederum ist im Jahr 2017, knapp 70 Jahre nach Erlass des Gesetzes zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern, völlig inakzeptabel.
In der Redaktion sind doch auch Frauen – warum sehen die die Benachteiligung nicht?
Redakteurinnen sind nicht allein aufgrund ihres Geschlechts klüger, offener oder stärker an Gleichberechtigung interessiert als Männer. Sie sind immer auch Teil des Systems. Und dieses System hat ihnen von Geburt an beigebracht: Du zählst nicht. Du bist unwichtig, denn ein Mann kann alles viel besser, korrekter, konkreter, lustiger, kreativer, ökonomischer … – also ist er und das, was er sagt und tut, wesentlich wichtiger.
Mädchen lernen bis heute, dass es für sie erstrebenswert zu sein hat, Prinzessin zu werden, also darauf zu warten, dass ihr Lebensmittelpunkt Mann sie erlösen kommt. Sie lernen bis heute, dass sie ein Gegenstand sind, den Männer nach Belieben gebrauchen können. Sie lernen bis heute, dass sie nicht wichtig genug sind, um auch nur erwähnt zu werden.
Und dann haben sie einen Job in einer Redaktion und sollen interessante Gäste für die nächsten Sendungen vorschlagen. Wen schlagen sie dann wohl als erstes vor? Und wenn Sender seit Jahrzehnten von Männern geführt werden, die im selben System groß geworden sind, das sie aber in allen Bereichen und bis heute bevorzugt und in den Mittelpunkt stellt – welche Vorschläge werden dann wohl zuerst angenommen?
Hinzu kommt, dass sich Frauen manchmal gar nicht trauen, den Vorschlag zu machen, gleichberechtigt Frauen zu präsentieren. Sie wollen nicht als „Emanze“ abgestempelt werden, weil das meist einen negativen Beigeschmack hat. Sie wollen nicht wieder und wieder aus der Reihe fallen, weil sie das Allianzen oder auch den Job kosten könnte. Und sie wollen nicht ausschließlich für „Frauenthemen“ zuständig sein, weil sich unsere Welt ja nach wie vor um Männer dreht, und Frauen, genau: angeblich weniger interessant, weniger wichtig, weniger lustig, weniger quotenträchtig usw. sind.
Und was kannst du tun?
Die Liste der Möglichkeiten ist lang. Hier ein paar Vorschläge:
- Beschwere dich in der entsprechenden Redaktion. Frage nach den Gründen und verlange eine der Bevölkerungsstruktur entsprechende Sicht- und Hörbarkeit von Frauen.
- Beschwere dich auch bei den Intendant_innen der jeweiligen Sender. Lass dich dabei nicht mit dem üblichen „Wir achten selbstverständlich sehr darauf, Frauen gleichberechtigt darzustellen“-PR-Blabla abspeisen.
- Wenn du sprichst und schreibst, sprich und schreibe Frauen grundsätzlich mit, auch wenn es am Anfang ungewohnt ist (du gewöhnst dich daran, und meist sogar schneller als du denkst). Mach Frauen nicht noch unsichtbarer als sie es ohnehin schon sind.
- Wenn dir bei irgendeiner Angelegenheit zuerst ein Mann einfällt – überlege mal, ob dir nicht auch mindestens eine Frau dazu einfällt. Falls nicht: googel nach Frauen zum Thema. Nur so als kleine Übung, um dein Gehirn daran zu gewöhnen, dir nicht automatisch als erstes Männer vorzuschlagen, weil die ja ohnehin schon überall so präsent sind.
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..Kommentar z.B. hier:
http://www.deutschlandradio.de/kritik-und-anregungen.405.de.html
habe gerade geschrieben..:)
Super!
Dass Frauen so viel unsichtbarer sind, ist auch im Lila Podcast (kennst du ja bestimmt) schon oft zur Sprache gekommen, zum Beispiel im Gespräch mit Nicolas Semak von 4000Hertz, angesichts des Männerüberschusses in der deutschen Podcast-Szene. Er meinte, dass Frauen überdimensional häufig absagen. Ungefähres Ergebnis des Podcasts: Auch das dürfte an den von dir oben beschriebenen Mechanismen liegen – dass Frauen lieber anderen (Männern) den Vortritt lassen, weil sie das Gefühl haben, diese seien viel besser in der Lage diesen Auftritt zu gestalten. Deprimierend, das.
Liebe Grüße,
Sabrina
Es ist wirklich deprimierend, Sabrina. Und es wird leider auch nicht besser – im Gegenteil. Jede neue Nische offenbart dasselbe Debakel aufs Neue. Ich Frage mich dann jedesmal: was können wir daran ändern? Denn so kann es ja nicht weitergehen. Aber es fehlt ja leider auf fast allen Seiten an nachhaltigen Lösungsvorschlägen und an dem Willen, etwas zu verändern.
Das kann ich alles unterschreiben. Es ist ein Elend. Kann sich noch jemand an die ARD-Themenwoche „Heimat“ erinnern? Die lief 2015 an mit einer 12-stündigen Doku über deutsches Leben am Sonntag. Am Montag beschwerte sich im Intranet eine Kollegin, es könne ja wohl nicht sein, dass dieses Machwerk zu 70% Männer zeige, fast allesamt bei ihren Hobby (vom Stammtisch bis zum Drachenfliegen war alles dabei), aber nur 30%, und die überwiegend bei – Hausarbeit. Ich musste ihr zustimmen, und wir ernteten großes Geschrei von allen Seiten. Eine andere Kollegin meinte sogar wortwörtlich: „Der Zuschauer [sic!] fühlte sich gut aufgehoben. Ich bin für einen Männerbeauftragten.“
Und neulich schaue ich mal auf die neue SWR-Unternehmensseite – dort zähle ich auf sechs Bildern 14 Männer und zwei Frauen (die Kinder – Mädchen und Jungen auf dem Familienbild habe ich nicht mitgezählt). Das habe ich bei FB auf einer feministischen Seite geteilt und stieß da zu großen Teilen auf Unverständnis („Männer machen nun mal die körperlich härteren Jobs“ u.ä. Stereotypengelaber). Hier ist die Seite zu „bewundern“:
https://www.swr.de/unternehmen/-/id=3586/mmm7ol/index.html
Danke, Marlene – das ist ja wirklich erschreckend! Wenn man auf der Website weiterklickt, sind ja fast überall in der Mehrzahl Männer auf den Bildern zu sehen! Z. B. bei „Gremien“ und „Digitales“ – stereotyp in Männerhand. Schaut da denn niemand mal drauf, bevor so etwas online geht?
Aber die Beispiele beim Ö-R sind ja so zahlreich, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ich habe auch mit Frauen im Ö-R gesprochen, die, genau wie Du das schilderst, völlig merkbefreit waren. Sie sahen das Problem gar nicht oder behaupteten sogar noch, es sei völlig egal, was Mädchen und Frauen sähen, denn sie könnten sich auch mit Jungen und Männern identifizieren. Dass das längst widerlegt ist, interessierte die gar nicht – das klang schon wie bei einer Sekte: für sie zählte nur, was sie glaubten (sic!), nicht das, was Studien nachgewiesen hatten.
Ich denke, da die Welt des Fernsehens an vielen Stellen noch immer von einem immensen Gefühl der eigenen Wichtigkeit und Exklusivität getragen ist, gemischt mit einer Art gefühltem Beamt_innenstatus, dass denen völlig aus den Augen geraten ist, für wen sie dieses Fernsehen eigentlich machen und wer sie dafür bezahlt. Ich habe festgestellt, dass dort kaum jemand etwas hinterfragt (zeigt sich ja auch an der angeblichen „Überraschung“ über die MaLisa-Studienergebnisse im ZDF). Und einige, die die Probleme erkennen, trauen sich nicht, Kritik anzubringen.
Es wird Zeit, dass sich das ändert.