Kabarett wurde schon lange totgesagt, und doch läuft es und läuft und läuft. Ein guter Grund, mal hinter die Kulissen zu schauen: Wie steht’s eigentlich um die Frauen im TV-Kabarett? Ich habe nachgezählt.
Vielleicht sollte ich eine kurze Begriffserklärung voranschieben, zumal die beiden Formen im Fernsehen zunehmend vermischt werden. Zur groben Unterscheidung: Kabarett ist politisch, Comedy nicht. Das wird gleich noch eine Rolle spielen.
Für diesen Artikel habe ich sieben Kabarettsendungen in öffentlich-rechtlichen Sendern ganz willkürlich ausgewählt und die Auftritte von Kabarettist_innen dort in den letzten zwölf Monaten gezählt. Einige der Sendungen kannte ich, von anderen hatte ich noch nie gehört.
Die Sendungen, die ich #nachgezählt habe, sind:
- „Die Anstalt“ (ZDF),
- „Pufpaffs Happy Hour“ (3Sat),
- „Nuhr im Ersten“ (ARD),
- „Kabarett aus Franken“ (BR),
- „Spätschicht“ (SWR),
- „Mitternachtsspitzen“ (WDR),
- „Kanzleramt Pforte D“ (MDR).
Zunächst fiel mir eins beim Nachzählen auf:
Alle Sendungen werden von Männern moderiert
Mal ist es nur ein Mann, mal zwei, doch alle Sendungen werden von Männern moderiert. Die einzige, die dafür eine nachvollziehbare Begründung vorweisen kann, ist „Mitternachtsspitzen“ (WDR). Jürgen Becker ist in Köln (dem Zuhause des WDR) eine Institution und fungiert darüber hinaus bereits seit 1992 als Gastgeber der Sendung.
Für all die anderen Sendungen gibt es m. W. keine auch nur ansatzweise nachvollziehbare Begründung dafür, dass von uns Frauen mitfinanzierte öffentlich-rechtliche Sender ausschließlich Männer moderieren lassen.
Doch es bleibt nicht dabei, dass die Sender Männer in der Moderation bevorzugen. Auch die präsentierten Kabarettist_innen bestehen nur zu unglaublichen 8 bis 25 Prozent aus Frauen.
Am untersten Ende der Liste steht, man höre und staune, die Sendung aus jenem Teil Deutschlands (Osten), der sich seit vielen Jahren dafür rühmt, schon immer ach so viel gleichberechtigter zu sein als der andere (Westen): „Kanzleramt Pforte D“ im MDR. Dort sind im vergangenen Jahr gerade einmal drei Frauen (acht Prozent) zu sehen gewesen.
Den prozentual höchsten Frauenanteil wies die SWR-Sendung „Spätschicht“ mit 25 Prozent auf.
Die Zahlen im Einzelnen:
- „Die Anstalt“ (ZDF): 84% Männer, 16% Frauen;
- „Pufpaffs Happy Hour“ (3Sat): 81% Männer, 19% Frauen;
- „Nuhr im Ersten“ (ARD): 90% Männer, 10% Frauen;
- „Kabarett aus Franken“ (BR): 87,5% Männer, 12,5% Frauen;
- „Spätschicht“ (SWR): 75% Männer, 25% Frauen;
- „Mitternachtsspitzen“ (WDR): 84% Männer, 16% Frauen;
- „Kanzleramt Pforte D“ (MDR): 92% Männer, 8% Frauen.
Hier die Übersicht der Geschlechterverhältnisse in einer Grafik:
Zur Erinnerung: Frauen machen die Mehrheit der Bevölkerung aus. Von dieser Mehrheit sollen nur derart verschwindend wenige Frauen witzig, klug, gebildet, bissig und politisch versiert genug sein, um im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Kabarett zu machen? Oder geht es womöglich gar nicht um diese Kriterien?
Warum sind so wenig Frauen im Fernseh-Kabarett?
Die Frage ist mittlerweile müßig, wenn du dir nicht nur meine Artikel hier auf thea anschaust, sondern auch die Zahlen der malisa-Studie aus dem Jahr 2017, die dem Fernsehen eine unfassbare Männerdominanz bescheinigte. Fernsehen wird, wie alle Medien in diesem Land, hauptsächlich von Männern bestimmt.
Männer sagen uns also schon seit Jahren und Jahrzehnten im Fernseh-Kabarett, was wir Frauen gut und lustig zu finden haben. Hinzu kommt, dass in unserer Gesellschaft eine so tief sitzende Frauenfeindlichkeit herrscht, dass es Frauen meistens gar nicht zugetraut wird lustig sein und Politik und Gesellschaft auch auf intelligente, bissige Weise kritisch auseinanderpflücken zu können. Sehen wir solche Frauen dann doch mal, setzen wir automatisch eine extrem viel kritischere Brille auf, um sie zu beurteilen, als bei Männern.
Der Deutschlandfunk analysierte dies 2016 so, und damit komme ich noch einmal auf den oben erwähnten Unterschied zwischen Comedy und Kabarett zurück:
„Sobald Frauen Missstände laut zur Sprache bringen, gelten sie als Nörglerinnen, nervige Feministinnen und Querulantinnen. Nicht zuletzt deshalb wird auch das politische Kabarett seit Jahren von Männern dominiert.“
Was sich in den Zahlen oben mehr als deutlich niederschlägt.
Die einzige Lösung ist, Frauen endlich gleichberechtigt zu zeigen
Comediennes, also Frauen, die einerseits intelligent lustig analysieren, kritisieren und verreißen, und darüber hinaus irgendwie hihihi-süß und/oder total hübsch, voll-sexy oder voll-assi sind/tun und allein deshalb irgendwie kultig sind, hatten oder haben bereits eigene TV-Sendungen. Denk nur z. B. an Anke Engelke, Carolin Kebekus, Enissa Amani (die das feministische Magazin „Missy“ in einem Newsletter mit „Feminismus in Geil“ ankündigte) oder Ilka Bessin (Cindy aus Marzahn).
Dass es mit „Ladies Night“ eine Kabarettsendung im Ersten unter der Leitung einer Frau, der Kabarettistin Gerburg Jahnke, gibt, macht da nichts besser. Denn sie präsentiert ausschließlich Kabarettistinnen. Das ist gut und wichtig, aber es ist doch wohl keine Lösung, reine Frauenzonen im Fernsehen oder in der Kultur einzurichten! Erst recht nicht, wenn es bloß bei dieser einen bleibt. Wir sollten ja wohl aus den 1980er Jahren genauso raus sein wie aus den 1950ern.
Die einzig realistische Lösung ist, Frauen endlich gleichberechtigt zu zeigen. Und dafür müssen Frauen überhaupt erst einmal in solchen Sendungen präsentiert werden, und dann gleichberechtigt über Jahre und Jahrzehnte. Nebenbei, Jahnkes „Ladies Night“ ist Wikipedia typischerweise keinen eigenen Eintrag wert, obwohl es sie schon seit 2007 gibt – aber das ist wieder ein anderes Thema (mit allerdings sehr ähnlichen Folgen).
Und noch ein Nebenbei: Die Sendungen „Nuhr im Ersten“ und „Spätschicht“ sind mit mehr als nur den Sendungen der letzten zwölf Monate online nachverfolgbar, und ich habe die mal etwas weiter nachgezählt. In knapp drei Jahren „Spätschicht“ lag der Frauenanteil immer noch bei 25 Prozent. In knapp sieben Jahren „Nuhr im Ersten“ lag der Frauenanteil bei 11 Prozent. Das vergangene Jahr ist also kein „schlechtes Jahr“ für Frauen gewesen, sondern die Vermutung liegt sehr nahe, dass sie ganz grundsätzlich in diesem Bereich diskriminiert werden.
Wo aber ist das Problem, wenn keine Frauen im Kabarett zu sehen sind?
Mal abgesehen davon, dass wir Frauen ein Recht darauf haben, gleichberechtigt im von uns mitfinanzierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt zu werden, und uns dieses Recht permanent und mit meist windigen Ausreden vorenthalten wird?
Zum einen spiegelt es die Realität überhaupt nicht wider, denn es gibt viele Frauen im Kabarett, die noch dazu verdammt gut sind. Oft sogar wesentlich besser als das Mittelmaß, das uns vielfach von den Männern in diesen Sendungen präsentiert wird. Dadurch vermitteln die Sender kein ausgewogenes, gleichberechtigtes Bild wie es aber laut Rundfunkstaatsvertrag ihre Aufgabe ist. Stattdessen bestätigen sie längst überholte Vorurteile, die die Diskriminierung der Frauen verstärken oder, im besten Fall, kein bisschen reduzieren.
Frauen wie Maren Kroymann, Gerburg Jahnke, Simone Solga, Luise Kinseher und so viele andere, wesentlich weniger bekannte, widerlegen diese Vorurteile Tag für Tag auf den Kabarettbühnen unseres Landes – und kommen dennoch nicht gegen die unverdiente Übermacht der Männer an. Das hat nicht das Geringste mit ihrer Qualität als Kabarettistinnen zu tun, sondern ausschließlich damit, dass sie Frauen sind. Mangels Anerkennung und Sichtbarkeit haben sie dann aber auch gar nicht erst die Chance, bundesweite Bekanntheit zu erlangen und abseits der kuscheligen Fernsehsender die Ränge zu füllen wie all jene Männer es schaffen, die permanent von Kabarett-Sendung zu Kabarett-Sendung weitergereicht werden.
Es sei denn, diese Frauen kommen aus der Schweiz wie so ziemlich die einzige häufigere TV-Kabarett-Gästin Hazel Brugger. Oder sie sind bereits bekannte TV-Comediennes wie Carolin Kebekus. Beides recht junge und sehr hübsche Frauen, die dem offenbar in den Sendern vorherrschenden Alters- und Schönheitsideal noch entsprechen. Ältere Kabarettistinnen findet man, wenn überhaupt, nur in den Dritten Programmen, aber auch dort sind es immer dieselben Frauen. Und sollten sie, wie Maren Kroymann (die 2018 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde), tatsächlich eine eigene Sendung auf einem Hauptsender haben, dann ist es nicht Kabarett, sondern Comedy. Eine Kabarettistin, die eine gemischtgeschlechtliche Kabarettsendung, gar in einem Hauptsender, moderiert? Fehlanzeige.
Kein Auftritt = keine Sichtbarkeit = keine Stimme = keine Teilhabe = keine Vorbilder
Die mangelnde Sichtbarkeit von Frauen in dem so leicht zugänglichen Medium Fernsehen (und Internet) ist außerdem ein Problem, weil Frauen auf diese Weise keine Stimme haben. Sie können nicht überregional mitbestimmen, welche Themen gutes politisches Kabarett auf den Tisch bringt, über welche Dinge anschließend noch debattiert wird, welche Themen und Ereignisse durch sie einen anderen Blickwinkel bekommen oder auf kritische Weise analysiert werden. Sie können ihre individuellen Sichtweisen nicht teilen, und so sind die Sichtweisen von Frauen schlicht nicht vorhanden. Wir können daran nicht teilhaben. Stattdessen werden wir weiter fast nur mit den Sichtweisen der Männer gefüttert.
Nicht zuletzt lernen jüngere Generationen dadurch, dass politische Einordnungen, bissige Analysen und humorvolle Verrisse vor allem von Männern vorgenommen werden. Sie lernen, dass Frauen in dieser Branche und bei diesen Themen so gut wie nichts zu melden haben. Das gilt für Talkshows, Nachrichtensendungen und Filme ganz offensichtlich genauso wie fürs Fernseh-Kabarett. Es gibt kaum Frauen als Vorbilder für die jüngeren Generationen.
Nichts von alldem ist akzeptabel.
Hier nochmal das Verhältnis zum Einprägen:
84 zu 16 Prozent.
Im 21. Jahrhundert.
60 Jahre nach Erlass des Gleichberechtigungsparagrafen kriegen die öffentlich-rechtlichen Sender es also immer noch nicht auf die Reihe, Frauen gleichberechtigt zu zeigen. Das kann man schon nicht mehr ein Versehen nennen oder mit „Oh, das ist uns noch gar nicht aufgefallen!“ beiseite wischen. Der Verdacht ist berechtigt, dass das System hat. Diskussionen um und Forderung nach stärkerer Frauenbeteiligung gibt es schließlich schon seit Jahren, spätestens bei jeder Studie zum Thema. Außer lahmen Lippenbekenntnissen passiert danach: nichts.
Warum, frage ich dich, sollten wir uns das noch länger gefallen lassen? Warum sollten wir Frauen nicht darauf bestehen, dass Sendungen, die der Gleichberechtigung verpflichtet sind und aus unseren Gebühren finanziert werden, ihren Frauenanteil auf 50% erhöhen, und zwar ab sofort, jedes einzige Mal und dauerhaft?
Es gibt keinen Grund, solche Männerdominanz mitzufinanzieren
Mir fällt kein Grund ein, warum wir diese Männerdominanz weiterhin finanzieren sollten, ehrlich, kein einziger. Denn es ist ja nicht so, dass wir wirklich die Crème de la Crème dort zu sehen bekommen. Es sind immer dieselben Männer, immer dieselben Themen, immer dieselben Sichtweisen, immer derselbe Tenor, meistens dasselbe Mittelmaß. Doch nicht einmal die besten Frauen bekommen eine Chance gegen diese Bastion.
Ich weiß nicht, wie es dir geht, wenn du Kabarett schaust. Ich liebe gutes Kabarett, aber ich will dieses sich immer nur um männliche Sichtweisen drehende Selbstbeweihräucherungstheater einfach nicht mehr sehen. Es betrifft mich viel zu wenig und es ist viel zu einseitig. Oft liegt es sogar unter dem niedrigsten Anspruch den man an so eine Sendung haben könnte: mich wenigstens für den Verlauf der Sendung noch wach zu halten.
Stattdessen will ich endlich sehen, wie Frauen Politik und Gesellschaft einordnen. Ich will sehen, was sie kritisieren und analysieren und wie sie das tun. Denn sie haben nun einmal eine ganz andere Lebens- und Erfahrungswelt als Männer, ihre Blickwinkel, ihre Sichtweisen, ihre Kritik, ihre Themenwahl unterscheiden sich oft erheblich von denen der Männer und sind häufig denen, die mich interessieren, die mich und meine Lebens- und Erfahrungswelt betreffen, wesentlich näher.
Wie geht es dir, wenn du dieses Verhältnis von 84:16 siehst? Lässt es dich kalt oder macht es dich sprachlos oder gar wütend?
Das kannst du gegen diese Diskriminierung tun
Solltest du es auch nicht länger hinnehmen wollen, schreib an die Sender, an die Redaktionen, und beschwere dich über diesen skandalös niedrigen Frauenanteil. Teile diesen Artikel oder die Zahlen in den Sozialen Medien. Sprich mit deinem Umfeld darüber und halte die Augen offen, wo Frauen sonst noch überall mit solcher Macht und Ausdauer unsichtbar und sprachlos gemacht werden. In so gut wie allen Bereichen der Kultur sind wir bis heute unterrepräsentiert, längst nicht nur im Fernsehen.
Bist du Kulturschaffende_r? Dann ändere etwas in deinem Arbeitsfeld – bring mehr Künstlerinnen auf die Bühne, die Podien und in die Galerien, sorge für ein mindestens ausgeglichenes Verhältnis von Frauen und Männern. Gib Frauen auch mindestens zu gleichen Teilen die prestigeträchtigen und medienwirksamsten Jobs. Wähle so lange nach Qualität UND Geschlecht zugunsten der Frauen, bis wir wirklich gleichberechtigt sind. Und wirst du für Bühnen, Podien und Ausstellungen angefragt, nimm nur teil, wenn der Frauenanteil bei mindestens 50 Prozent liegt.
Hinterfrage auch mal ganz ehrlich, wenn du die künstlerische Arbeit einer Frau kritisierst, ob du tatsächlich haargenau dieselben Maßstäbe ansetzt wie bei einem Mann. Nimm es nicht als selbstverständlich hin, dass du das tust, denn das stimmt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht. Es sei denn, du bist in einer wirklich gleichberechtigten Gesellschaft aufgewachsen (die es m. W. allerdings auf dieser Erde nicht gibt).
Ob du in der Kultur tätig bist oder nicht: Sprich diese Missverhältnisse an, wieder und wieder. Denn wenn wir nicht darüber sprechen, wenn wir nicht fordern, dass sich das endlich ändert, dann wird es immer so weitergehen. Dann werden all die großartigen Frauen weiterhin unsichtbar bleiben und im Schatten der hochstilisierten mittelmäßigen Männer eingehen.
- Abschied von thea - 8. März 2023
- #nachgezählt: Frauen bei öffentlich-rechtlichen Talkshows immer noch benachteiligt - 27. Januar 2020
- Psychopathen und Narzissten: die stille Gewalt gegen Frauen – ein Erfahrungsbericht - 21. November 2019
Zum Thema gab es am 08.03.2020 einen Artikel von Birgit Nüchterlein in den Nürnberger Nachrichten, nachzulesen auf nordbayern.de: „Mit Witz und böser Zunge: Kabarettistinnen erkämpfen sich ihre Plätze“