Seit 2014 zähle ich nach, wie es um die Anzahl von Frauen bei öffentlich-rechtlichen Talkshows als Gästinnen steht. Das Ergebnis in Kurzfassung ist immer noch miserabel und frauenfeindlich. Mit einigen wenigen Ausnahmen.
Es ist ein Einstieg ins neue Jahr, der mir seit 2014 sehr schlechte Laune macht: das Nachzählen von Frauen bei öffentlich-rechtlichen Talkshows. Denn die Veränderungen zum Positiven sind so minimal, dass sie kaum einer Erwähnung wert wären, wenn es nicht gleichzeitig bedeuten würde, dass diese Talkshows all die Jahre ganz bewusst und in aller Öffentlichkeit Frauen diskriminieren. Dass sie nicht einmal mit Protest oder Kürzung ihres Etats rechnen müssen, obwohl sie über den Medienstaatsvertrag zur Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, also auch des §3.2 GG verpflichtet sind.
Immer noch werden Männer unverhältnismäßig stark bevorzugt
Wie also sah es 2019 aus? So (mit einem Klick auf die Grafik kannst du sie vergrößern):Immer noch sind Männer mehrheitlich in diesen Talkshows vertreten. Immer noch dürfen Männer sich selbst, ihre Expertise, ihre Meinung oder ihr Werk bevorzugt präsentieren.
Im einzelnen sah dies 2019 so aus – mit den Veränderungen zu 2018 und 2015 (mit einem Klick auf die Tabelle kannst du sie vergrößern):
(Anmerkung: #Nachgezählt werden diese ausgewählten Sendungen anhand der Aufzeichnungen, die ihre Sender zum Zeitpunkt der Zählung in der Mediathek vorhalten. Bei Maybritt Illner ging die Zählung deshalb nur vom 9. Mai bis Ende Dezember 2019. Alle anderen Sendungen müssten vollständig vorhanden gewesen sein. Zählfehler sind wie immer vorbehalten.)
Einzig „Anne Will“ mit nennenswerter Steigerung
Die einzige Talkshow, die 2019 einen nennenswerten Sprung nach oben gemacht hat, ist „Anne Will“ (ARD). Der Anteil an Frauen ist dort 2019 mit 44,7% um 11,4% höher als 2018. Im Vergleich zu 2015 ist der Anteil an Frauen um 13,5% gestiegen.
Während „Scobel“ (3Sat) im vorletzten Jahr noch Spitzenreiter war, hatte die Sendung im vergangenen Jahr mit 36,4% einen geringeren Anteil an Frauen als im Jahr davor. Schlusslichter waren, wie auch schon im letzten Jahr, „3nach9“ (NDR) mit 32,3% und „Hart aber fair“ (ARD) mit 32,9%.
So sehen die Veränderungen insgesamt von 2015 bis 2019 aus (mit einem Klick auf das Diagramm kannst du es vergrößern):
Es zeigt sich, dass die Besserungsversprechen der öffentlich-rechtlichen Sender nach der MaLisa-Studie zur Audiovisuellen Diversität 2017 nur Lippenbekenntnisse waren. Denn es gibt ganz offensichtlich bei fast allen Sendungen keinerlei Veränderung in Prämisse, Arbeitsprozessen und vor allem dem Willen, regelmäßig deutlich mehr Frauen in den Talkshows zu präsentieren.
Erst kommt der Auftritt, dann die Moral
Doch nicht nur die Sender haben diese Art der Beruhigungstaktik perfektioniert. Der eine oder andere prominente Mann beklagt zwar einerseits die geringe Anzahl der Frauen in den Talkshows. Doch hat er andererseits kein Problem, sich trotzdem dort als Experte zu präsentieren, anstatt den Platz für eine kompetente Frau freizumachen.
Müsste mal mehr Talkshowgäste wie @saschalobo geben: Bei #Illner sitzen & erstmal kritisieren, warum nur eine Frau eingeladen wird, wenn es um Hass im Netz geht. Und dann @BILD als Hassmaschine angreifen. Bravo. #OhneFrauenOhneUns
— ? Emily Laquer (@EmilyLaquer) November 14, 2019
Es wäre ein stärkeres Signal gewesen, hätte @saschalobo den Auftritt in der Sendung verweigert, weil nur eine Frau dabei war. Solange sich aber prominente Männer wie er trotzdem in solche Sendungen setzen, ist ihre Kritik nichts weiter als ein schales Lippenbekenntnis.#50Prozent
— Birte Vogel (@BirteVogel) November 15, 2019
Frei nach Bertolt Brecht: Erst kommt der Auftritt, dann die Moral.
Tja, wirst du vielleicht sagen, kann man halt nichts machen, wenn die nichts in den Redaktionen ändern. Doch, kann man. Was im Einzelnen, habe ich am Ende des letztjährigen Artikels beschrieben: „#nachgezählt: Frauen-Präsenz in Talkshows weiter auf inakzeptablem Niveau“.