Nicht erst seit es thea gibt, höre ich immer wieder, dass doch niemand ernsthaft mehr eine Gesellschaft wie in den 50er Jahren haben wolle. Dass diese Zeiten doch längst vorbei seien, dass Frauen längst gleichberechtigt seien und absolut gleiche Chancen hätten. Denkst du das auch? Dann solltest du dir unbedingt diese Videos ansehen.
Es handelt sich um zwei aktuelle Videos der Versicherung „Alte Leipziger“ (mit „aktuell“ meine ich: sie stehen jetzt gerade, im Jahr 2015 n. Chr., auf der Website der Versicherung). Mit diesen Trickfilmen möchte die Versicherung auch den Begriffsstutzigsten erklären, welchen Zweck eine Privathaftpflicht-Versicherung und eine Berufsunfähigkeitsversicherung haben. Daran ist per se natürlich nichts auszusetzen. Aber schau sie dir doch mal an:
Video 1: Erklärfilm Privat-Haftpflicht der Versicherung Alte Leipziger
Video 2: Erklärfilm Berufsunfähigkeit derselben Versicherung
[Nachtrag 18.03.2015, 22:50 Uhr: Die Videos wurden mittlerweile vom Netz genommen. Die folgenden Screenshots sprechen allerdings nach wie vor für sich.]
Was ist dir in den Filmen aufgefallen?
Mir ist u. a. das hier aufgefallen:

In Video 1 ist zunächst alles “normal”: Mutter, Vater, zwei Kinder. Mutter und Tochter natürlich mit Minikleid/-rock, klar.

Dann hat der Junge u. a. eine alte Dame umgefahren und fürchtet sich vor der Gardinenpredigt von … dem Vater. Mutter und Tochter sitzen bewundernd, aber passiv dabei. Den Ernst der Lage verstehen nur Vater und Sohn.

Die Predigt kommt auch prompt … vom Vater. Die Mutter ist nicht zu sehen.

Der Junge hofft schließlich, wieder Skateboard fahren zu dürfen. Aber nicht ohne ein passives Mädchen, das ihn brav anhimmeln und fotografieren darf. Das kennt er ja schon von zu Hause.
Das ist doch alles halb so wild, denkst du? Dann sieh dir an, was mir in Video 2 aufgefallen ist:

Frauen stehen im Bademantel am Gartenzaun, trinken was und plaudern. So sieht er aus, der Alltag von Frauen 2015, ganz klar, sie haben ja sonst nichts zu tun.

Die Frau sorgt sich, dass der Mann berufsunfähig werden und sie ihr Haus verlieren könnten. Sie selbst verdient dann wohl kein eigenes Geld, weil oder weshalb sie im Bademantel am Gartenzaun steht.

Als sie ihren Mann darauf anspricht, hebt er den Zeigefinger und belehrt sie, die offensichtlich keine Ahnung hat.

Die ahnungslose Frau folgt dem Mann, der ihr jetzt zeigen will, wie ein echter Mann so etwas regelt.

Und als echter Mann braucht er natürlich die coole Pose mit der Hand in der Tasche, während er sein Dummchen aufklärt. Und, ach, wie erleichtert die Frau schaut, dass der Mann so gut für sie sorgt!

Denkste, Puppe, der hat vorgesorgt: wenn sie sich scheiden lässt, kriegt sie gar nichts.

Damit er gar nicht erst auf dumme Ideen kommt, geht sie ihm gleich was kochen – und weil ihr Held die Hand in der Hosentasche hat, kann er ihr natürlich nicht helfen. Egal, Hauptsache keine Scheidung!
Die Alte Leipziger propagiert damit ein Frauenbild, das aus den 1950er Jahren stammt. Der Mann hat das Sagen in der Familie, er bestimmt, was getan wird, er ist für die Strafen zuständig, aber auch für die Fürsorge – allerdings nur zu seinen Bedingungen.
Die Rolle der Frau in den Augen der Alten Leipziger ist die der passiven Mutter und Tochter, des Mädchens, das selbst nicht Skateboard fährt, sondern den Jungen anhimmelt und ihn fotografiert, der gut situierten Ehefrau, die keinen Job hat und deshalb den lieben langen Tag am Gartenzaun stehen und tratschen kann, die keine Ahnung hat von Versicherungen, die sich gerne vom altväterlichen Gatten aufklären und belehren lässt und aus Sorge vor einer Scheidung gleich zurück an den Herd rennt, um dem Herrn etwas zu kochen. Eine Frau, die vollkommen abhängig ist vom Mann – wenn der sich scheiden lässt, bleibt ihr gar nichts mehr. Ganz klar: 50er Jahre.
Wenn du jetzt denkst: „Ach, komm, das ist doch nur eine Ausnahme, ein Einzelfall! Das sollte man nun wirklich nicht überbewerten …“ – dann würde ich mich freuen, wenn du den ganzen Rest von thea liest (so viel ist es ja noch nicht) und mir dann sagst, ob all diese „Ausnahmen“ und „Einzelfälle“ wirklich Ausnahmen und Einzelfälle sind. Oder nicht vielleicht doch ein sehr weit verbreiteter und struktureller Rückschritt in die 1950er Jahre. Ich bin gespannt!
[Nachtrag 2, 18.03.2015, 22:50 Uhr: Statt der „Erklärvideos“ ist nun die folgende Nachricht auf der Website der Alten Leipziger zu sehen:

Es ist absolut richtig, dass diese Filme vom Netz sind und dass die Alte Leipziger sich entschuldigt. Doch sind es absolut keine „entstandenen Missverständnisse“ – dieser Begriff verharmlost, was allein auf den Bildern oben zu sehen ist. Es war eine ganz klare Botschaft, die die Alte Leipziger ausgesendet hat. Und die sie erst zurücknahm, nachdem sie zahlreich Post von entsetzten Frauen bekommen und diese Post mit Hochnäsigkeit und Verachtung beantwortet hatte, und nachdem einige Journalist_innen (auch ich) daraufhin um eine Stellungnahme gebeten haben. Eine Antwort auf diese Bitte um Stellungnahme steht noch aus.]
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Das ist aber auch irgendwie lustig. Wenn eine angesehene und erfolgreiche Versicherung solche Werbung produziert, gehe ich davon aus, dass sie ihre Zielgruppe recht genau analysiert haben.
Ich kenne mich ein wenig in diesem Bereich aus, weil ich selber einige Schulungen in Finanzunternehmen mitgemacht habe; ich weiß, dass die Verkaufstaktiken nicht einfach aus der Luft gegriffen sind. Denn sonst wären die Finanzkonzerne nicht so erfolgreich.
Das lässt den Schluss zu, dass die Wirklichkeit in Deutschland im Jahre des Herrn 2015 im allgemeinen doch ganz anders aussieht, als uns die Meinungsmacher des Mainstream gerne einreden wollen. Und das beruhigt mich dann auch wieder ein bisschen.
Sarkasmusmodus an. Ach ja, wenn eine angesehene und erfolgreiche Versicherung suggeriert, die Welt sehe aus, wie in ihren Spots, na dann … Wie konnte ich nur so blind durch die Welt laufen, ich Dummerchen. Sarkasmusmodus aus. Übrigens: Die Frauenerwerbsquote liegt bei 72 Prozent.
„Die Welt“ muß nicht so aussehen. Es reicht völlig aus, wenn eine genügend große Zahl an Menschen im Wirkungsbereich der Versicherung so ticken. Wenn es diese Zielgruppe nicht gäbe, gäbe es auch eine solche Marketingkampagne nicht.
Das muß niemand glauben. Die Versicherung wird sich die Verkaufszahlen anschauen und dann entscheiden, ob die Kampagne erklecklich war oder nicht.
Es gibt natürlich auch Kampagnen, die gar nicht liefen, was man aber schon ohne Marketingkenntnisse hätte erkennen können. Z. B. „Come in and find out“ oder „Colour your life“.
Ach, noch was: Die neue Frauenzeitschrift „Weiberkram“ wird ausschließlich von Männern gemacht. Frauenquote in der Redaktion: 0% Und das Ding wird auch noch erfolgreich an Frauen verkauft, ist das nicht schrecklich?
Daß die Frauenerwerbsquote bei 72% liegt, ist eigentlich nichts, worauf man stolz sein kann.
Also… hm.
Ich weiß ja nicht, was Axel Görke nun wirklich „beruhigt“, wenn auch nur „ein bisschen“: Dass es noch ausreichend Heimchen am Herd gibt, besonders im westlichen Teil Deutschlands?
Meine Oma, Geburtsjahrgang 1904, ihres Zeichens Anwaltssekretärin, brauchte in Rumänien einen guten Grund, nicht erwerbstätig zu sein (sie hatte ihn, sie war erwerbsunfähig krank). Jetzt bin ich in Münster.
Und ja, Axel Görke hat dem Augenschein nach nicht ganz Unrecht: Ich erlebe hier in der Siedlung viele junge Frauen, die (ausschließlich) in ihrem Heim am Herd arbeiten. Nur beruhigt mich das nicht. Meine Oma (seit 1978 tot) wäre sicher entsetzt, wenn sie sähe, was aus den Emanzipationshoffnungen und dem Gleichberechtigungsstolz ihrer Jugend heute hier (nicht) geworden ist.
Hoffentlich gilt für meine Enkeltochter (5 Monate) einmal eine modernere Form der gesellschaftlich als selbstverständlich betrachteten Familienrollen!
Es gibt ja leider immer ein paar Unbelehrbare und Ewiggestrige, und es wird wahrscheinlich auch noch sehr lange Männer geben, die Frauen mit ihrem kruden Weltbild belästigen. Was aber nicht heißt, dass wir das stillschweigend hinnehmen und ihnen dazu noch was Schönes kochen müssen. Solange Frauen, die Kinder in Voll- oder Teilzeit großziehen, für diese Zeit weder Ausgleichsgehalt noch eine vollständige Rentenzahlung bekommen, und solange Dienstleister_innen wie diese Versicherung solche Filme auf Kosten der Frauen auch noch lustig finden, wird sich Deine Großmutter wahrscheinlich noch ein paarmal im Grab umdrehen müssen.
Liebe Birte,
habe auf facebook das gepostet: https://www.facebook.com/sigi.lieb
Hier die Kurzfassung: Die Frau als fröhlich schwatzendes Dummchen, dass dem fleißigen und fürsorglichen Mann das Lieblingsessen kocht. 2015. Obwohl ich weiß, dass die Herren das wirklich so meinen und glauben, das sei witzig, ich habe den Impuls, es für eine Ausgrabung aus den 50ern zu nehmen. 2015 kann ich hierüber nur verständnislos den Kopf schütteln.
In meinem Büro hat vor einiger Zeit eine Dame angerufen und wollte den Chef sprechen. Als ich ihr sagte, hier gibt´s nur eine Chefin und das bin ich, sagte sie: „Ich würde bitte trotzdem gerne Ihren Mann sprechen. Es geht nämlich um eine Versicherung.“
Das klingt jetzt erstmal gestrig auf die lustige Art. Da ich aber annehme, dass diese Frau solche Gespräche oft führt, schließe ich daraus, dass sie die Erfahrung gemacht hat, dass Frauen sich um derlei Dinge oft nicht kümmern.
Ich habe den Film gesehen – und lach mich schlapp! Was ist das denn? Ein Contest: Wer ist die unsympathischste Versicherung im Land? (Bislang dachte ich, das seien die mit den Bordell-Reisen …)
Wer berät da bloß die Marketingabteilung? Wie kann man 2015 so blöde (und so ignorant gegenüber Antidiskriminierungsgesetzen) sein und sich die Hälfte der deutschen Bevölkerung als potenzielle Versicherte entgehen lassen?? Wenn man sie es fragt, heißt es, der Film sei mit einem Augenzwinkern gemeint. Puh … Wer Beleidigung als Augenzwinkern bezeichnet, braucht wohl keine höfliche Mail, sondern einen Tritt vors Schienbein, um zu kapieren, wie verächtlich sein Verhalten ist.
Der Tritt vors Schienbein, um den Faden weiterzuspinnen, ist in unserer marktwirtschaftlich-orientierten Welt dann eben: keine Versicherung bei der „Alten Leipziger“ abzuschließen. Glücklicherweise habe ich – eine berufstätige Frau mit Familie, die sich um das Finanzielle kümmert – die Wahl. Bye bye, „Alte Leipziger“!
Die „alte“ Leipziger scheint wirklich etwas altersschwach zu sein, ich kringel mich gerade vor Lachen :D wer holt die denn mal aus der Mottenkiste?
Ich bin fest davon überzeugt, dass Finanzkonzerne, zu denen die Alte Leipziger ja auch gehört, genau wissen, wie sie ihre Werbung und ihr Marketing auszurichten haben, um dadurch den größt möglichen Erfolg zu erzielen. Erfolg heißt dabei immer: Neue Kunden. Und um neue Kunden zu gewinnen und möglichst punktgenau den sensiblen Nerv der Kundschaft zu treffen, der letztlich die Entscheidung pro Kauf fallen lässt, wird umfangreiche Marktforschung /-recherche betrieben.
Dass ein Produkt nicht bei allen 100% der möglichen Kundschaft Anklang findet, versteht sich von selbst. Aber dass ein Finanzkonzern bewusst Kunden vergrault und damit Umsatz und Gewinn reduziert, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Dies vorausgesetzt, gehe ich nun einmal davon aus, dass die Zielgruppe der Alten Leipziger für das beworbene Produkt genau der im animierten Video dargestellten Modellfamilie entspricht. Wenn es also kein Nischenprodukt für wenige Einzelkunden sein soll, ist weiterhin davon auszugehen, dass es viele Familien gibt, die der dargestellten Modellfamilie ähneln.
Es sei denn, die Alte Leipziger will damit wirklich den Comedy Preis der Versicherungswirtschaft gewinnen.
Ich, als Mann, begrüße es natürlich außerordentlich, zu vernehmen, dass es offensichtlich noch viele Frauen gibt, die dem Mann in der dargestellten Weise zu Diensten sind und sein wollen. Für Männer ist es die bequemste Art des Zusammenlebens von Mann und Frau. Warum sollte ein Mann ein Interesse daran haben, das zu ändern?
Deshalb liegt es an den Frauen selbst, ihre Situation zu verändern. Von Männern dürfen sie dabei keine Unterstützung erwarten (von ein paar Grünen abgesehen vielleicht). In der Tat waren die Frauen in den letzten Jahrzehnten ja durchaus erfolgreich.
Aber welches Interesse sollte ein Mann an einer Frau haben, die auf dem Standpunkt steht, sie könne alles und jedes mindestens genauso gut oder besser, wie der Mann und sich dementsprechend selbst verwirklichen will? Kein Mann braucht solch eine Frau. Ich habe gerade einmal diverse Dating Seiten durchgeschaut und gesehen, wie viele Frauen zwischen 30 und 55 auf der Suche nach einem Partner sind. Fast alle getrennt/ geschieden. Ich habe keine Ahnung, worin diese hohen Trennungsraten begründet liegen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass Männer – und eben auch Frauen – immer häufiger die Sinnfrage einer Partnerschaft stellen und dann beim intensiven nachdenken verstärkt auf die Idee kommen, dass eine feste Beziehung zwischung Mann und Frau unter den gegebenen Umständen keinen besonderen Vorteil mehr bietet; abgesehen vom Ehegattensplitting.
Kann sein, muss es aber nicht.
Fast ensteht der Eindruck, als habe der gute Herr Görke sich dieses Filmchen selbst ausgedacht und verteidigt es nun mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mittelchen.
… keine Sorge, ich stehe schon seit längerer Zeit nicht mehr in Diensten der Finanzindustrie. Und meine Frau ist auch durchaus selbstbewusst, verdient ihr eigenes Geld, verfügt natürlich darüber, wie es ihr beliebt und bittet mich auch nicht um Erlaubnis, um dieses oder jenes tun zu dürfen. Obwohl – schön wär’s schon.
Ich versuche das nur neutral zu analysieren; allerdings subjektiv, aus männlicher Sicht. Und lustig find ich’s auch.
Wenn ich an der Entwicklung Dinge wirklich zu kritisieren habe, dann bestimmt nicht, dass mir meine Frau kein Essen mehr zubereitet (sie tut’s allerdings aus Selbsterhaltungstrieb, weil ihr ständig nur Käsebrote auf die Dauer zu einseitig sind ;-) ).
Ich bin durchaus nicht der Meinung von Axel Görke. Mein Mann (64), mein Schwiegersohn (34) und mein Vater (87) sind es übrigens auch nicht. Auch mein Großvater (wenn er noch leben würde: 110) war es mit Sicherheit nicht – jedenfalls hat er jahrelang für meine erwerbsunfähige Großmutter, später für meine erwerbstätige Mutter (heute 80) gekocht, geputzt, aufgeräumt. Und meine Großmutter (heute, wenn sie noch leben würde, ebenfalls 110) hat dafür die Versicherungen und die Finanzen verwaltet und die Geschäftspost erledigt.
Trotzdem: Ich finde es in Ordnung, dass Axel Görke so tapfer und standhaft seine abweichende Meinung vertritt. Und ich kenne durchaus Leute, die diese Meinung teilen. Dazu zählen zum Beispiel eine Psychologin (33), ein Wirtschaftsingenieur (25), ein Erzieher (28), eine Arzthelferin (66), eine Chemielaborantin (78), eine Wirtschaftsingenieurin (32)… Statistiken dazu kenne ich nicht, ist nur ein Querschnitt durch mein soziales Umfeld. Es erschreckt mich immer wieder, aber man muss wohl mit kognitiven Dissonanzen leben und Andersdenkende anders denken lassen. Auch wenn es manchmal wehtut. Und Herr Görke könnte ins Schwarze treffen mit seiner Vermutung, dass die Alte Leipziger ihr Werbeziel mit derartigen Filmchen erreicht. Leider.
Natürlich sollte sich ein Unternehmen genau überlegen, wen es mit seiner Werbung ansprechen will, und wird dies auch tun. Aber es ist ja nicht ausgeschlossen, dass es dabei zu Pannen kommt, etwa weil der Horizont bei den Entscheidern zu begrenzt ist.
Ich denke: Kluge Werbung geht auf die Bedürfnisse der identifizierten Zielgruppe ein, *ohne* die anderen gleich zu vergraulen. Wenn man sich denn tatsächlich darauf beschränken wollte, Familien mit „klassischer“ Rollenverteilung anzusprechen (Was ich übrigens für ungeschickt hielte: Warum den Kundenkreis von vorneherein so einschränken? Zumindest in meinem Umfeld kenne ich keine Familien, wo nicht beide Partner berufstätig sind.), hätte man das sicher auch schaffen können, ohne Frauen gleich als dumm und unselbstständig darzustellen.
Auf der anderen Seite – da man bei der Alten Leipziger offenbar Frauen für so dumm hält, kommen Frauen als Zielgruppe wohl ohnehin nicht in Frage.
*Die* Botschaft ist jedenfalls angekommen.
Ganz richtig, Katja. Mich erschreckt allerdings, bei wie vielen Menschen der Horizont so begrenzt ist, dass sie dieses Unter-Stammtisch-Niveau in völliger Ignoranz der Lebenswirklichkeiten der Mehrheit ihres Zielpublikums sogar noch an ihren Arbeitsplätzen verbreiten. Und dumm genug sind, dies auch noch öffentlich zu tun.
Ach, da sind wir mal wieder auf der Emanzipations-Reaktions-Schaukel in der Rückwärtsbewegung. Es nervt. Schade, dass wir immer noch nicht weiter sind.
Und nein, Emanzipation ist nicht nur eine Sache der Frauen. Nicht alle fröhnen der Unterstützung ihrer Bequemlichkeit und wünschen sich eine Frau nach dem Vorbild der 50er. Ich kenne gottseidank viele Männer, für die Partnerschaft etwas mehr bedeutet als gesellschaftlich geleitete Arbeitsteilung im selben Haushalt.
Wer mit anderen partnerschaftlich zusammenlebt, macht automatisch Kompromisse. Wenn dabei aber Selbstverwirklichung ein Hindernis ist, läuft wohl irgendwas erheblich falsch.
Ach ja, die „Alte Leipziger“ habe ich mal von meiner Liste der potentiellen Versicherungs-Dienstleister gestrichen.
Hier schreibt die Zielgruppe der Versicherung – ich habe 3 Kinder und war mehrere Jahre lang nur im Haushalt und für die Familie tätig. Aaaber … irgendwas war bei uns anders, denn ich hatte trotzdem eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Abgeschlossen bei einer Working Mum, übrigens. Warum hätte ich das Ding auch kündigen sollen? Wer hätte unsere Kinder denn versorgt, wäre ich für lange Zeit ausgefallen? Wie hätte mein Mann gleichzeitig 3 kleine Kinder erziehen und umsorgen und in Vollzeit im Berufsleben stehen sollen? – Kinderfrauen und gute Ganztagskitas/-schulen kosten viel. An so was denkt die Versicherung, die solche Filmchen in Auftrag gibt, aber offenbar nicht.
Inzwischen bin ich längst wieder im Berufsleben – gut so! Denn so wie den armen Bauers aus dem Erklär-Video ging es viel zu vielen Müttern und Familien in meinem Umfeld. Da man Häuser aber nicht nur aus dem Grunde verliert, dass der Kerl nicht mehr schaffen kann, empfehle ich jeder Gattin den Verzicht auf oberflächliche Pläuschchen am Gartenzaun und zu viel Ordnung – die so gewonnene Zeit kann in Fortbildungen und das eigene berufliche Fortkommen investiert werden. Falls der Mann mal weniger oder gar nicht mehr arbeitet – oder falls Frau und Mann getrennte Wege gehen. So was soll es selbst bei den Konservativsten heutzutage geben …
Aber vielleicht plant die Alte Leipziger ja schon neue Erklärfilmchen? Die Single-Frau sichert sich ab, das schwule Pärchen sichert sich ab, der alleinerziehende Dad sichert sich ab … Ich hoffe übrigens, die Zielgruppe dieser ersten beiden Spots stimmt mit den Füßen ab!
Die Videos sind unfassbar altmodisch und frauenfeindlich!
Danke für den Hinweis darauf. Es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen.
Viele Grüße, Meike
Freie Journalistin und Bloggerin
Schön, dass es hier noch gesittet zugeht. Ich musste jetzt auch etwas über die Posts von Herrn Görke nachdenken. So ganz kann ich der Argumentation nicht widersprechen, denn wir haben ja noch etliche Falilien, die nach dem Modell leben. Und auch die Erwerbsquote sagt wenig über tatsächlich geleistete Stunden und Verdienst aus. Der liegt oft auf Minijob-Basis und reicht keinesfalls zum Leben. Insofern haben wir es in D in vielen Familien mit einem Versorger-Modell zu tun.
Soweit dazu, die Zielgruppe an sich gibt es also durchaus.
ABER: Die Filme sind einfach schlecht gemacht. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es Frauen gefällt, so blöd dargestellt zu werden.
Männern wahrscheinlich auch nicht, denke ich mal.
UND: Die Alte Leipziger hat oft gute Produkte. Aber mit so einem Verhalten vergrault sie auch Kunden, die sich für andere Produkte interessieren.
Und das ist keine zielgerichtete Kommunikation, weil es eben andere Kunden vergrault.
Mir ist es aber völlig egal, ob eine Versicherung ernsthaft Gründe dafür hat, anzunehmen, dass ihre Zielgruppe sich noch im mittleren 20. Jahrhundert befindet, und ob es diese Zielgruppe irgendwo noch gibt.
Hier geht es einzig und allein darum, dass eine Versicherung mit vollkommen frauenfeindlichen Filmen für sich wirbt, und zwar jetzt, im Jahr 2015. Und dass die Frauen, wie Sie schon richtig sagen, „blöd“ dargestellt werden. Was sich nach wie vor quer durch die Gesellschaft zieht.
Es ist unbenommen, dass es nach wie vor einige Frauen gibt, die tagsüber im Bademantel am Gartenzaun stehen können und sich abends vom Gatten belehren lassen. Und es ist unbenommen, dass sich manche dabei wirklich aufgehoben und gut versorgt fühlen. Aber diese Frauen sind schon seit Jahrzehnten in der Minderheit. Und – wie das eine Video ja hervorragend belegt – wenn die Männer sich entschließen, diese Frauen für eine andere zu verlassen, stehen sie plötzlich völlig unversorgt da. Dafür hat „Väterchen“ Staat schon gesorgt. Diese Situation hat sich seit den 50er Jahren kaum verändert.
Mir geht es auch darum, gerade Frauen darauf aufmerksam zu machen, wo sie – bei all der propagierten angeblichen Chancengleichheit und Gleichberechtigung – tatsächlich heute wieder stehen: nämlich ungefähr auf dem Stand der 50er Jahre. Und dass sie genau deshalb immer noch bis zu 44 % weniger Rente bekommen, zu 90 % alleinerziehend und, weil die Kindsväter sich dank „Väterchen“ Staat so erfolgreich vor der Unterhaltszahlung drücken können, zu 40 % Hartz-IV-abhängig sind. Es geht auch darum dass es in der Regel sie sind, die den Großteil des Haushalts wuppen, selbst wenn sie ebenso Vollzeit arbeiten wie ihr Partner. Und darum, dass ausgerechnet die Jobs, für die sich so viele Frauen interessieren, die schlechtest bezahlten sind (so ein merkwürdiger Zufall!) Usw. usf. Siehe dazu auch meinen vorigen Beitrag https://thea-blog.de/frauentag-abschaffen-keine-foerderung-mehr-fuer-maedchen/.
Videos wie diese von der Alten Leipziger zementieren diese Situation nur noch. Und genau dafür sollten gerade wir Frauen angesichts unserer realen Situation nicht das geringste Verständnis haben, in keiner Hinsicht.
Frau Vogel, also ich versteh jetzt Folgendes nicht:
„Mir ist es aber völlig egal, … ob es diese Zielgruppe irgendwo noch gibt.
Hier geht es einzig und allein darum, dass eine Versicherung mit vollkommen frauenfeindlichen Filmen für sich wirbt, und zwar jetzt, im Jahr 2015. Und dass die Frauen, wie Sie schon richtig sagen, “blöd” dargestellt werden. Was sich nach wie vor quer durch die Gesellschaft zieht.“
Also wäre es egal, ob noch eine nennenswerte Anzahl von Frauen mehr oder weniger nach dem inkriminierten Modell lebt? Die wären dann alle blöd? Denn es könnte ja sein , dass die Werbeabteilung der Alte Leipziger zu dem tatsächlichen Ergebnis kam, unsere Kunden sind so und leben so, deswegen machen wir Werbung nach deren Geschmack. Andererseits könnte in den Spots aber auch die Geisteshaltung der Alte Leipziger-Granden zum Ausdruck kommen. Was von beidem ist es nun? Und ehrlich: Unter *vollkommen frauenfeindlich* verstehe ich Schlimmeres, also richtig Schlimmes. Deswegen ist diese Formulierung auch nichts weiter als eine genauso zielgruppenkonforme Zuspitzung einer Zustandsbeschreibung, wie die doofen Filme der Alte Leipziger.
Blöd? Nö! Das ist es ja: Die Frauen, die sich über diese Filme ärgern wollen eben nicht als blöd angesehen sein. Und dabei ist es völlig egal, ob Hausfrau im Versorger-Modell oder Karrierefrau. Ich kann Dinge (und Produkte) auch erklären, ohne andere zu belehren und als blöd erscheinen zu lassen.
Männer werden ja auch nicht gleich als blöd dargestellt, nur weil sie etwas nicht kennen.
Am Ende ist es einfach Verklärung, die uns die gute alte Zeit so viel besser erscheinen und die Probleme ausblenden lassen.