Ich bin ein großer Freund der Wahrheit

TV-Kommissarin Charlotte Lindholm sagte kürzlich im „Tatort“ zu einem verdächtigen Wurstfabrikanten: „Ich bin ein großer Freund der Wahrheit.“ Freund? Wieso Freund? Weil man das halt so sagt?

Viele Frauen drücken sich so aus, obwohl sie sich selbstverständlich als Frauen begreifen. Sprachlich kommt dies aber immer seltener zum Ausdruck. Insbesondere dann, wenn es sich um vermeintliche Standards handelt, die abgewandelt in mancher Ohren komisch klingen würden.

„Ich bin eine Freundin der Wahrheit.“ In meinen Ohren klingt das völlig normal und korrekt. In deinen nicht auch? Aber wie ist es mit einem Satz wie diesem:

„Kommissarin Lindholm steht in ihrem neusten Fall mal wieder ihren Mann.“?

Ist sie nur gut, wenn sie ihren Job wie ein Mann macht?

Das erinnert mich sehr an das, was Wikipedia über Theanolte Bähnisch schreibt (s. Wer oder was ist thea?), nämlich dass sie als erste Regierungspräsidentin das Amt eines Mannes bekleidete. „Seinen Mann stehen“ ist ein Relikt aus einer Welt, in der allein Männer in der Öffentlichkeit, der Wirtschaft und der Politik das Sagen hatten.

Manchen klingt es auch heute noch wie eine Auszeichnung, erst recht, wenn es über eine Frau gesagt wird: „Sie steht im Beruf ihren Mann!“ Dabei klingt das nicht nur so, als sei es außergewöhnlich, wenn eine Frau ihren Job gut macht (denn nichts anderes bedeutet „ihren Mann stehen“). Es klingt auch so, als könnten Frauen in dieser Gesellschaft nur bestehen, wenn sie wie ein Mann arbeiten, d. h. männliche Verhaltensweisen und Attribute übernehmen würden. Als sei eine Leistung nur erwähnenswert oder hervorragend, wenn sie sprachlich und inhaltlich der Leistung eines Mannes gleichkommen würde.

Neutrale Sprache gibt keinem Geschlecht den Vorzug

Dadurch, dass eine solche Floskel wie „seinen Mann stehen“ im Sprachgebrauch bleibt und von Frauen unverändert benutzt wird, zementiert sich das herkömmliche Bild, dass das Männliche alleinbestimmend ist, dass das Männliche sowohl Sprache als auch Denken und Handeln bestimmt. Und damit auch die Realität.

Jetzt denken manche sicher: „Aber jeder weiß doch, was damit gemeint ist.“ – Da frage ich zuerst einmal zurück: „jeder“? Warum männlich? Wir könnten ja auch sagen:

„Aber alle wissen doch, was damit gemeint ist.“

Das Wort „alle“ ist neutral, gibt keinem Geschlecht den Vorzug. Ähnlich könnten wir den Satz um Kommissarin Lindholm umformulieren:

„Kommissarin Lindholm macht in ihrem neusten Fall mal wieder einen guten Job.“

Und vielleicht sagt sie dann ja auch beim nächsten Mal: „Ich bin eine große Freundin der Wahrheit.“ Dann wissen ganz sicher trotzdem alle, was sie damit meint. Und bald wird das gar nicht mehr komisch klingen, denn jeder alle werden sich daran gewöhnt haben.

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thea

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