Die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht 2015/16 werden von den Medien wie jede andere Nachricht aufgegriffen und kommentiert, auf Facebook und in Foren heiß diskutiert. Doch wieder spricht niemand über das, was da wirklich passiert ist: Gewalt gegen Frauen – verübt von Männern. Deutschland, wir müssen reden: über die Männer in unserer Gesellschaft und über Gewalt von Männern gegen Frauen.
Was ist passiert? In mehreren Städten (bislang bekannt sind Hamburg, Köln und Frankfurt) haben Männergruppen Frauen massiv bedrängt und sexuell belästigt. Zwei Frauen wurden wohl sogar vergewaltigt.
Was geschah dann? Einige Medien berichteten darüber, denn jetzt sind es ja nicht mehr nur Einzelfälle, die man, wenn überhaupt, mit einer Randnotiz abtun könnte, wie meist bei Gewalt gegen Frauen. Und während etwa 80 Anzeigen durch Frauen bei der Polizei Köln eingingen, wurde dort eine SoKo gebildet: aus sage und schreibe zehn Polizist_innen. Als die Aufmerksamkeit der Medien und die Zahl der Anzeigen auf 150 stieg, stockte die Polizei ihr Ermittlungsteam dann doch noch auf 80 Personen auf.
Entrüstet forderten viele, die sich sonst nie um Gewalt gegen Frauen scheren, die Täter, die nordafrikanisch ausgesehen haben sollen, mit aller Härte des Gesetzes zur Rechenschaft zu ziehen. Ich frage mich, ob diese Forderungen genauso laut und zahlreich wären, hätte es sich bei den Tätern ausschließlich um hellhäutige Männer gehandelt. Denn wo waren diese erbosten Rufe nach Gerechtigkeit für Frauen all die Jahrzehnte, in denen jede dritte Frau in Deutschland Opfer von Gewalt wurde?
Frauen erfahren tagtäglich Gewalt durch Männer
So etwas geschieht schließlich nicht nur in Hamburg, Köln und Frankfurt. Es geschieht Frauen tagtäglich unzählige Male in Deutschland – in jeder Stadt, jedem Ort, jedem Park, jeder Straße, jedem Gebäude.
Eine Studie der Europäischen Union für Grundrechte zeigte 2014, wie gefährlich der Alltag für Frauen ist:
- „35% der deutschen Frauen haben körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch eine/n Partner/in oder einer anderen Person seit ihrem 15. Lebensjahr erfahren.
- 20% haben körperliche Gewalt durch eine/n Partner/in erlebt.
- 8% haben sexuelle Gewalt durch eine/n Partner/in erlebt, 7% durch eine andere Person als den/die Partner/in.
- 50% haben eine Form der psychologischen Gewalt durch eine/n aktuelle/n oder frühere/n Partner/in erlebt.
- 44% haben körperliche, sexuelle oder psychologische Gewalt vor ihrem 15. Lebensjahr durch eine/n erwachsene/ Täter/in erlebt, 13% haben sexuelle Gewalt erlebt.
- 24% haben Stalking seit ihrem 15. Lebensjahr erfahren.
- 60% der Frauen haben mindestens eine Form der sexuellen Belästigung erfahren.
- 11% der Frauen meldeten den schwerwiegendsten Vorfall von Gewalt in Partnerschaft und 13% durch andere Personen als den Partner/die Partnerin der Polizei.“
Und das liegt nicht an den Frauen selbst oder an Männern mit nordafrikanischem Aussehen. Es liegt ganz grundsätzlich an Männern und der weitgehenden Akzeptanz ihrer Gewalttätigkeit, als sei sie gottgegeben.
87% aller Gewalttaten werden laut einem Datenreport der Bundesregierung von Männern verübt.
99% aller sexuellen Gewalttaten werden von Männern verübt.
Allgemein von „Gewalt gegen Frauen“ zu sprechen, ist deshalb falsch und verzerrt das, was da geschieht. Wir müssen über „Gewalt von Männern gegen Frauen“ sprechen, damit endlich auch über die Ursachen und nicht nur die Symptome gesprochen wird.
Eine Frau zu sein bedeutet, bewusst oder unbewusst ständig Angst haben zu müssen
Einige Männer werden sich natürlich sofort gegen diesen vermeintlichen Generalverdacht wehren. Doch sie haben dann offensichtlich immer noch nicht verstanden, was es eigentlich bedeutet, eine Frau zu sein: Tag für Tag mit Angst leben zu müssen, Angst, die uns teilweise so sehr ins Blut übergegangen ist, dass viele Frauen sie kaum noch wahrnehmen und sogar glauben, sie hätten gar keine. Angst, die unser Leben in einem Maß einschränkt, wie Männer es niemals erleben.
Angst, die uns im Dunkeln nicht alleine vor die Tür gehen lässt. Angst, die uns nicht die Kleidung tragen lässt, die wir gerne tragen würden. Angst, die unser Urvertrauen völlig erschüttert, und zwar von Kindesbeinen an. Angst, die uns suggeriert, dass ein gewalttätiger Mann immer noch besser ist als ein Leben ohne diesen Mann. Angst, die uns vierfache Schlösser an unseren Wohnungstüren anbringen lässt. Angst vor der Gewissheit, dass sich bei einer Gewalttat niemand für uns einsetzen wird aus Sorge, selbst verletzt zu werden. Angst vor der Demütigung in der Öffentlichkeit, wenn wir bekennen, Opfer einer Gewalttat durch einen Mann oder mehrere Männer geworden zu sein. Angst vor noch stärkerer Herabwürdigung, als der, die wir ohnehin schon jeden Tag erfahren. Angst davor, dass unsere stärksten Verbündeten, unsere Väter, Brüder, Onkel, Cousins, Söhne und Freunde uns im Zweifel im Stich lassen werden. Oder uns Gewalt antun werden.
Deutschland, reden wir endlich über die Gewalt von Männern gegen Frauen
Wenn wir jetzt also über die sexuelle Gewalt gegen Frauen in Köln, Hamburg und Frankfurt in der Silvesternacht sprechen, dann müssen wir endlich auch ganz grundsätzlich über Gewalt von Männern gegen Frauen sprechen.
Wir müssen darüber reden:
- Warum es bei vielen Frauen und Männern der erste Reflex ist, überall Ursachen zu suchen, nur nicht dort, wo sie liegen: bei den Männern.
- Warum Gewalt gegen Mädchen und Frauen bis heute eine der am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen weltweit ist.
- Warum das Nein einer Frau bis heute nicht einmal vor Gericht respektiert wird.
- Warum Männer nicht lernen, genug Respekt zu haben, um Frauen niemals ohne ihre Erlaubnis sexuell zu berühren.
- Warum sie nicht genug Respekt haben, um mit Frauen auf Augenhöhe zu diskutieren, ohne in Besserwissereien, Beschimpfungen, Herabwürdigungen und Gewaltmetaphern auszubrechen.
- Warum jede Frau, die sich öffentlich zu solchen Themen äußert, mindestens mit verbaler Gewalt von Männern rechnen muss.
- Warum jene Männer, die nicht gewalttätig sind, bis heute nicht genug dafür tun, um die Gewalt ihrer Geschlechtsgenossen gegen Frauen endlich einzudämmen.
- Warum Männer nicht genug Arsch in der Hose haben, um endlich den Frauen solidarisch zur Seite zu stehen, die seit Jahren erfolglos gegen die Gewalt von Männern gegen Frauen kämpfen.
- Warum Männer bis heute nicht gemeinsam mit Frauen, auf Augenhöhe und Hand in Hand gegen Gewalt vorgehen, sondern Frauen dabei weitgehend allein lassen.
- Und darüber, wie wir Frauen und unsere Töchter unser Leben endlich dauerhaft frei leben können, ohne ganz automatisch von Kindesbeinen an damit rechnen zu müssen, eines Tages von unseren Nächsten, Liebsten und Partnern oder von anderen Männern körperliche, sexuelle, psychische und verbale Gewalt zu erfahren.
Ja, wir müssen auch darüber reden, warum Frauen immer noch nicht solidarisch genug sind, um gemeinsam gegen Gewalt durch Männer vorzugehen. Doch zuerst einmal müssen wir über Männer reden. Denn diese Diskussion ist mehr als überfällig.
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Danke! Danke für’s finden der Worte die vielen Frauen fehlen und danke für die Informationen. Aber ganz besonders: DANKE für die Anregungen zur Diskussion und das aufzeigen der tatsächlichen Problematik!
Danke Dir, Anne!
Liebe Birte,
danke für diesen guten Beitrag, der – wie es Cäcilie auf facebook treffend formuliert hat – endlich mal nicht medial hyperventiliert. Ich möchte nur eines ergänzen. Ich möchte als Frau nicht auf die Opferrolle reduziert werden, die schwach ist und Angst haben muss. Ich möchte als ebenbürdig wahrgenommen werden, erst dann sind wir gleichberechtigt.
Viele Frauen fühlen sich so, wie du es beschrieben hast, sie sind so erzogen worden, wenn nicht von den Eltern, dann von anderen oder dem Leben. Gesellschaftlich immer noch die dominante Meinung. Angst kann schützen. Angst kann aber ebenso eine gefährliche Situation heraufbeschwören. Denn Angst riecht einer, der Böses will.
Liebe Sigi,
es geht mir nicht um die Reduktion auf den Opferstatus, die wäre völlig falsch, da hast Du recht. Aber um als gleichberechtigt und ebenbürtig wahrgenommen werden zu können, muss das Ganze überhaupt erst einmal ernsthaft thematisieren, die Strukturen hinter der Gewalt und die Folgen, die das auf uns Frauen hat, erkennen. Und dann geht es darum, Lösungen zu finden. Damit wir uns nicht durch Angst schützen müssen, sondern genauso frei leben können wie Männer es i. d. R. völlig selbstverständlich tun.
Oh man, was bringt denn Reden? Niemand, den sie mit dem Artikel ansprechen, wird vermutlich einer Frau etwas antun und jeder dieser Leute, Respektiert auch Frauen.
Und wie der Aufschrei wäre, wenn es hell häutige Männer wären.. vermutlich genau gleich.,
Zu den Statistiken:
Sind das nicht vllt oft einfach subjektive Wertungen?! Wenn eine Frau auf den Hintern gehauen wird, empfindet sie das, gefühlt eher als Belästigung, als es ein Mann machen würde…
Warum wird nicht die Statistik aus München gebracht, nachdem etwa 30% der Anschuldigungen falsch waren… warum müssen wir nicht da reden?
“ 2005 kam eine Studie in München zum Schluss, dass rund ein Drittel der Anzeigen wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung «zweifelhaft» seien. “
Warum müssen wir nicht darüber reden, dass es dort nie einen grossen Aufschrei gibt, obwohl die Opfer ein Leben lang einen Makel tragen?
Was ist mit Gewalt von Frauen gegen Männern?! Aus Stolz Gründen werden die wohl seltener gemeldet?
Warum müssen wir nicht darüber reden, dass Assistenten empfohlen wird, nicht alleine mit einer Studentin in einem Raum zu sein?
Ne, das ganze ist mir zu einfach. Nicht das ich falsch verstanden werde, jede
Vergewaltigung/Nötigung ist ein abscheuliches verbrechen, dass entsprechend geahndet werden muss… aber ein besonderes Problem ist es in Deutschland nicht!
Aber diese alten feminismus Kampfaufsätze bringen NICHTS!
Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob ein Mann einer Frau einen Klaps auf den Hintern gibt oder eine Frau einem Mann. Sexuelle Belästigung ist beides, wenn der Klaps nicht erwünscht ist. Aber dasselbe ist es längst nicht.
Ein Grund für diesen Unterschied ist die Tatsache, dass nicht Männer, sondern Frauen seit Jahrhunderten unterdrückt wurden. Und zwar von Männern. Diese Unterdrückung zeigte sich u. a. im Gebrauch von Gewalt gegen Frauen und in der sexuellen und sozialen Unterdrückung der Frauen.
Frauen mögen heute auf dem Papier gleichberechtigt sein – in der Realität sind sie es noch längst nicht. Das zieht sich durch alle Lebensbereiche, wie mein Artikel Frauentag abschaffen! Keine Förderung mehr für Mädchen! zeigt. Und die Tatsache, dass sexuelle Straftaten auch heute noch zu 99% von Männern begangen werden, beweist eindeutig, dass wir dringend darüber sprechen und etwas dagegen unternehmen müssen.
Gewalt von Frauen gegen Männer (und Frauen) ist selbstverständlich auch ein wichtiges Thema – aber sie ist nicht Thema dieses Artikels.
Zu dem Zitat über die „zweifelhaften“ Anzeigen wegen Vergewaltigung etc.: dieses Zitat ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen und beweist wieder einmal, was so ein Satz anrichten kann, wenn er nicht mit den entsprechenden Informationen belegt wird. Man sollte hier durchaus auch den Grund für diese Aussagen benennen. Ich zitiere mal aus dem Bericht des BKA (bit.ly/1N30Hk5, Seite 21):
„Die am häufigsten genannten Gründe für diese Zweifel waren: Das Vortat- oder Nachtatverhalten des Opfers, widersprüchliche oder wenig detaillierte Aussagen, der Widerruf der Anzeige, mangelndes Interesse an der Strafverfolgung, der Einfluss psychotroper Substanzen [Rauschmittel] zur Tatzeit, aber auch schlüssige, nicht widerlegbare Aussagen des Tatverdächtigen.“
Das kann alles und gar nichts heißen. Denn sehr oft wird z. B. Frauen nicht geglaubt, eben weil sie auf Droge waren, weil sie auf Druck ihres Umfelds oder des Täters usw. die Anzeige zurückgezogen haben, weil sie sich nicht so verhalten haben, wie die Polizei das von Opfern erwartet, weil sie sich aus unterschiedlichen Gründen nicht an alle Details erinnern können usw. Dass es aus diesen Gründen polizeiliche bzw. juristische Zweifel an Anzeigen gibt, heißt noch lange nicht, dass eindeutig nachgewiesen wurde, dass diese angezeigten Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen nicht stattgefunden haben.
In der Studie heißt es u. a. auch (Seite 26):
„Die spezifische Beweisproblematik der sexuellen Gewalttaten und hier insbesondere der Vergewaltigung ergibt sich zum einen aus ihrem Charakter als Beziehungsdelikte, an dem sich nichts ändern lässt. Zum anderen aber aus der häufig verspäteten Anzeigeerstattung […]“
Und das klingt schon wieder ganz anders als das völlig aus dem Zusammenhang gerissene Zitat, das bei genauerer Betrachtung nämlich genau das nicht besagt, was viele, die es aus dem Zusammenhang zitieren, damit „beweisen“ möchten.
Ok, die Tatsache besteht aber das es eine Masse von Männer waren die Frauen öffentlich angegriffen haben. Das ist bzw war nicht der Fall von den Statistiken von denen hier geschrieben wurde. Das eigentliche Problem liegt in der Kultur!
Zum einen scheint es ok für Männer zu Frauen zu belästigen- um es erstmal milde auszudrücken. Das geht aus den genannten Statistiken hervor… Und diese Ursachen sollten schon ausgerottet werden!
Was aber viel wichtiger ist das die Kultur der Straftäter in diesem Fall nicht europäische ist und deren Verhalten gegenüber Frauen ganz anders geprägt ist! Das ist die einzige Ursache die immer wieder unter den Tisch gekehrt wird. Das hat nichts mit Rassismus zu tun sondern mit Kultur und dem Verhalten und dem Verstehen der Angreifer.
Jeder weiß das nicht alle mänliche Ausländer so ein Verhalten öffentlich zeigen, und das nicht alle Männer so denken. Allerdings kann auch keiner sagen das es diese öffentliche Schandtat schon vor dieser massiven Einwanderung der Migranten in diesem organisiertem Umfang gegeben hat! Das ist die wahre Tatsache- alles andere ist nur da um wieder Untaten zu verquatschen und nicht die eigentlichen Täter so zu bestrafen wie es Sinn macht. Warum muss das Volk noch bezahlen wenn ein Abschied zurück in ihre Heimat wesentlich sinnvoller ist…? In ihrem eigenen Land hätten sie es wesentlich härter was Strafen von Gewalttaten betrifft! Warum darf man nicht mehr die Wahrheit sagen ohne als Rassist bezeichnet zu werden. Nur die Medien dürfen alles verkehrt hinstellen… Alle sollten mal das Hirn einschalten!!!
Ich mag mich, solange die Ermittlungen zu Köln und den anderen Städten noch nicht abgeschlossen sind, an Spekulationen darüber, wer die Täter waren, oder was dort genau passiert ist, nicht beteiligen. Es wird gerade so viel geredet – wer weiß schon, was davon wirklich stimmt? Ich gehe davon aus, dass die Taten so weit wie nur irgend möglich aufgeklärt werden und die Täter nach deutschem Recht bestraft werden. Was Du zur Kultur bzw. Herkunft der Täter schreibst, kann ich daher nicht kommentieren.
Es stimmt aber nicht, dass es solche Taten bislang nicht gegeben hat. Es gibt bei jedem Oktober- und Schützenfest und zu vielen anderen Gelegenheiten zahllose Übergriffe von Männern auf Frauen. Es gibt zahlreiche Berichte von geplanten und ungeplanten Massenvergewaltigungen in Deutschland – viele davon bis heute nicht aufgeklärt, geschweige denn, geahndet.
Dass die Taten jetzt derart öffentlich geschahen, ist im Grunde das einzig Neue. Dass aber ein solcher Massenübergriff überhaupt geschehen konnte, hat m. E. auch etwas mit unserer eigenen Gesellschaft zu tun bzw. damit, dass unsere Gesellschaft solchen Übergriffen den Boden bereitet hat.
Denn seit ewigen Zeiten gibt es Übergriffe auf Frauen, auch im öffentlichen Raum und sichtbar für alle Umstehenden, die nicht ernst genommen werden. Weil es um Frauen geht. Frauen spielen i. d. R. eine untergeordnete Rolle in allen Belangen unserer Gesellschaft, es sei denn sie bringen sich ehrenamtlich (also kostenlos und ohne Rentenansprüche) oder in ihrer Eigenschaft als Mütter ein (ebenfalls kostenlos und ohne Rentenansprüche). Darüber hinaus spielen ihre Unversehrtheit, ihre Gesundheit, ihre Sicherheit gesellschaftlich eine untergeordnete Rolle. Daran ändert die Tatsache, dass wir eine Kanzlerin haben, nichts. Denn sie ist die Ausnahme, nicht die Regel.
Es wird Frauen sehr oft nicht geglaubt, wenn sie angegrapscht oder gar vergewaltigt werden. Sie werden (sogar von anderen Frauen) öffentlich lächerlich gemacht und gedemütigt. Sie trauen sich sehr oft nicht, die Täter anzuzeigen – unter anderem, weil unser Rechtssystem z. B. Steuerhinterziehung wesentlich ernster nimmt und härter bestraft als den gewalttätigen Übergriff auf eine Frau. Weil das „Nein!“ einer Frau bis heute nicht als Ablehnung einer Vergewaltigung zählt. Und leider auch, weil es Männer und Frauen gibt, die sexuelle und andere Gewalt derart verharmlosen, dass sie anderen Frauen öffentlich raten, wenn sie keine Gewalt erfahren wollen, dann doch einfach die Bluse zumachen oder zu Hause bleiben sollen.
Wären wir eine Gesellschaft, die Frauen wirklich mit Respekt, ebenbürtig und gleichberechtigt behandelt, die Frauen und ihre Anliegen ernst nimmt, und die Gewalt jeder Art gegen Frauen unter Strafe stellt, wäre für Täter wie die von Köln, Hamburg usw. möglicherweise gar nicht das Umfeld da, um Frauen Gewalt anzutun.
Ich kann fast alles in diesem Artikel unterscheiben, ich fühle mich aber nicht gemeint, wenn es darum, geht, dass ich immer in Angst leben soll. Das tu ich nicht, obwohl auch ich einschlägige Erfahrungen gemacht habe, auch und gerade im familiären Nahbereich. Meine Angst ist zu Wut geworden. Ich habe auch schon Situationen erlebt, wo ich bereit war, zuzuschlagen, zu treten, zu schreien etc., hätte der Kerl es nur gewagt, einen Schritt näher zu kommen. Hat er aber nicht. Wenn Angst zum Opfer werden lässt, ist das Gegenteil auch wahr: Wut macht stark. Mir ist natürlich klar, dass nicht jede Frau ihre Angst in Wut umwandeln kann und deswegen nicht „schuld“ ist, wenn sie zum Opfer wird. Und die Situationen, die ich oben erwähnt habe, waren auch vergleichsweise „harmlos“, da waren keine Waffen im Spiel, ich war auch nicht allein auf weiter Flur. Dennoch, ich fühle mich nicht gemeint, wenn es heißt „unsere Angst“.
Die Wut ist ja oft eine Folge der Angst, wie Du auch schreibst. Insofern magst Du heute vielleicht keine Angst mehr spüren, aber Deine Wut entstammt ja daraus. Und natürlich muss man dann auch weiterführend fragen: warum sollte eine Frau überhaupt wütend sein müssen, bereit sein müssen, zuzuschlagen, zu treten, zu schreien, bloß weil ein Mann meint, ihre Grenzen überschreiten zu dürfen? Einfach nur, weil er ein Mann ist und sie eine Frau?
Diese ständigen Grenzüberschreitungen durch Gewalt sind ja nicht nur für sehr viele Männer ganz selbstverständlich, sondern werden von der Gesellschaft oft als „Alltagssexismus“ hingenommen oder sogar der Frau als vermeintlich „Schuldiger“ in die Schuhe geschoben.
Das muss endlich aufhören.
Ich würde die Schuld nicht der Frau in die Schuhe schieben. Allerdings sehe ich das Problem eher in der Erziehung – und zwar von Mädchen und von Jungen. Ich bin die Tochter einer toughen Frau und wurde in dem Sinn erzogen, dass alle Menschen gleich sind – ob Hausmeister oder Geschäftsführerin, ob Mann oder Frau.
Natürlich sind auch mir schon Übergriffe passiert, allerdings nicht in diesem Ausmaß. Doch ich habe mich gewehrt, und mir käme es niemals in den Sinn, dass der Übergriff mir peinlich sein sollte.
– Ein Partner hat mich, damals 20, auch geschlagen – noch in der gleichen Nacht war ich verschwunden. Dabei kann ich sein Verhalten sogar erklären – jedoch nicht verstehen. Man(n) schlägt mich nur einmal.
– Mitten in der FuZo griff mir, damals 15 oder 16, ein Mann im Vorbeigehen an die Brust. Leider war mein Arm zu kurz, sonst hätte er eine Kopfnuss bekommen. Aber ich habe ihm hinterhergebrüllt, was das denn solle? Er ist rot geworden… Nicht ich.
In der Erziehung sollte mehr Wert darauf gelegt werden, Frauen stark zu machen. Frauen, die sich trauen, die für sich einstehen, die Widerworte geben und die sich auch allein was trauen. Doch ich kann mir gut vorstellen, dass auch heute noch Mädchen den Kommentar hören, das mache ein Mädchen nicht.
Ich bin übrigens auch mal für eine andere Frau eingestanden – auch auf offener Straße wurde sie penetrant von einem Mann angegangen. Ich habe nicht den Mann angesprochen, sondern die Frau gefragt, ob sie Hilfe bräuchte, ob alles in Ordnung wäre. Der Mann ist daraufhin abgezogen.
Allerdings weiß ich nicht, wie ich mich in Köln, Hamburg oder Frankfurt hätte verhalten können. Von daher kann und werde ich mich dazu nicht äußern.
Stimmt, das ist ein sehr wichtiger Aspekt: die Mädchen stark zu machen. Aber das allein reicht leider nicht, solange die Gesellschaft gleichzeitig den Jungs suggeriert, trotz allem die Oberhand zu haben. Sei es dadurch, dass fast nur Männersport im Sportteil der Tageszeitungen und TV-Sportberichte vorkommen. Sei es dadurch, dass in den Nachrichten, im Internet, auf Podien und in Talkshows zu einem Großteil Männer als „Experten“ gezeigt werden. Sei es dadurch, dass die Medien zum Großteil von Männern geführt werden, die uns tagtäglich sagen, wie wir die Welt zu sehen haben. Sei es durch mit großen Geldsummen beworbenes Spielzeug: „für Mädchen“ irgendwas Pinkfarbenes mit Prinzessin, deren Hauptbeschäftigung das Warten auf Erlösung durch den Mann ist, und „für Jungen“ irgendwas Dunkles mit Abenteuer, Aktivität und Macht. Oder sei es eben die Tatsache, dass Gewalt gegen Frauen (und Mädchen) oft nicht geahndet wird oder für viele Mädchen und Frauen mit Demütigungen und Herabwürdigungen einhergeht.
Einerseits werden Mädchen schon vielfach stark gemacht, v. a. durch ihre starken Mütter und viele Väter, die die Gleichberechtigung leben. Aber andererseits finden viele sehr schnell heraus, dass sie in der Realität damit nicht weit kommen. Denn den Kommentar, den Du schon ansprichst, das mache ein Mädchen nicht, hören Mädchen bis heute immer und immer wieder. Und werden durch dauerpräsente, vermeintliche Vorbilder wie Unterwäschemodels von ihrer eigentlichen Stärke wieder abgelenkt. Und sie erfahren leider immer noch zu wenig Unterstützung, weil viele, die diese Unterstützung bieten müssten, dies aus Überforderung, neo-konservativem Denken oder Gewohnheit schlicht nicht tun.
In diesem Zusammenhang noch der Hinweis auf einen gerade neu gestarteten Aufruf einer Gruppe von Frauen gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus: #ausnahmslos (http://ausnahmslos.org/).
Mein Thema nun auch aufgegriffen von der Kirche: http://kirchenzeitung.kibac.de/index.html/gewalt-ist-kein–importiertes-gut/58b9a745-b6f5-472e-a740-b3a7dad154b8?mode=detail
Immer öfter höre ich Rechtfertigungen jeder Art für diese Gewalt durch Männer, Ablenkung vom Thema („Aber Frauen sind doch auch gewalttätig.“) und ein „Na ja, komm, Ihr Frauen seid doch auch selbst schuld!“ Daher ist das hier von Margarete Stokowski auf Spiegel Online zum selben Thema mal wieder sehr lesenswert:
„Wir sind daran gewöhnt, dass es Männer sind, die glauben, sie könnten anderen vorschreiben, wie diese sein sollten, und die meinen, entscheiden zu können, wer leben darf und wer nicht. Dabei geht es um nichts Geringeres als die Frage, wem die Welt gehört. […] Wir halten es für eine verdammte Selbstverständlichkeit, dass eine Frau in der Dämmerung nicht mehr im Wald joggen gehen sollte. Eine Frau. Immer sind es die Frauen, die ihr Verhalten anpassen sollen. Vielen Männern ist nicht klar, wie sehr Frauen die Angst und den Schutz vor Gewalt in ihren Alltag integrieren. Wie sehr wir ein Klima von Bedrohung für normal halten.“
(Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/gewalt-der-taeter-ist-fast-immer-ein-mann-kolumne-a-1097493.html)