Der größte Fehler der Feministinnen

Der größte Fehler der Feministinnen … Es ist 2017, und Frauen sind noch immer nicht gleichberechtigt, obwohl dies seit fast 60 Jahren gesetzlich vorgeschrieben ist. Doch so viel wir den Feministinnen zu verdanken haben – ausgerechnet die Vorkämpferinnen für die Gleichberechtigung der Frauen tragen jetzt erheblich dazu bei, dass wir kaum einen Schritt voran kommen. Ein Plädoyer.

Stoppt den Dominoeffekt! oder Der größte Fehler der Feministinnen (Foto: ivanacoi/pixabay.com)Frauen werden auch heute noch in jedem einzelnen Lebensbereich diskriminiert, von Haushalt und Kinderbetreuung über das Gehalt bis hin zur Präsenz in den Medien und in Führungspositionen – in keinem einzigen Bereich haben Frauen aus allen Schichten der Bevölkerung die Chance, tatsächlich und nachhaltig mit Männern gleichzuziehen.

Dass wir heute eine Bundeskanzlerin und eine Verteidigungsministerin haben, täuscht darüber hinweg, dass der Großteil der Frauen in Deutschland noch immer den Kürzeren zieht (siehe auch „Frauentag abschaffen! Keine Förderung mehr für Mädchen!“).

Feministinnen wurden schon immer beschimpft und gehasst

Dass es aber so weit ist, dass sich überhaupt eine Politikerin zur Wahl als Bundeskanzlerin stellen konnte, und dass die dann eine Frau an die Spitze des Verteidigungsministeriums und nicht nur der Familien- und Sozialministerien befördern konnte – das ist etwas, das wir auch und vor allem den Frauenrechtlerinnen zu verdanken haben.

Feministinnen haben seit über 200 Jahren für unsere Freiheiten und Möglichkeiten gekämpft. Sie wurden dafür beschimpft und gehasst, auch von Frauen, und es wurde ihnen unwahrscheinlich viel Gewalt angetan. Einige mussten dafür sogar mit dem Leben bezahlen, wie Olympe de Gouges, die 1793 für ihre Forderungen geköpft wurde.

Die Frauenrechtlerinnen waren sich selten in allen Themen einig, aber was sie am Ende immer zusammenbrachte, war das gemeinsame Ziel: die Gleichberechtigung aller Frauen.

Der größte Fehler der Feministinnen: Angriffe auf die eigenen Reihen

Die heutigen Feministinnen haben einen vergleichsweise (aber auch wirklich nur im Vergleich mit einer Olympe de Gouges) komfortablen Ausgangspunkt: die Gleichberechtigung ist seit fast 60 Jahren gesetzlich verankert. Sie müssen sie jetzt „nur noch“ einfordern (was schwierig genug ist, wenn man sich anschaut, dass das Gesetz ganze zwei Generationen nach Inkrafttreten noch nicht ansatzweise vollständig in die Praxis umgesetzt wurde).

Die Feministinnen von heute müssen sich aber auch heute noch gegen massive Beschimpfungen und Hass behaupten. Nach wie vor auch ausgerechnet von jenen, für deren Gleichberechtigung und Freiheit sie kämpfen: den Frauen.

Doch die Gegenwehr kommt längst nicht nur aus der Gesellschaft – sie kommt auch aus den eigenen Reihen. Und das ist der größte Fehler der Feministinnen: sie tolerieren einander nicht, sondern sie bekämpfen einander, sie greifen einander offen und auf teilweise sehr fragwürdigem Niveau an. So als hätten sie aus der Geschichte nichts gelernt.

Warum gehen sie so verächtlich und intolerant miteinander um?

Mal ist es Anne Wizorek, die sich im Süddeutsche Magazin mit abfälligem Gesichtsausdruck und abwehrenden Händen zur Frage: „Was haben Sie von Alice Schwarzer gelernt?“ ablichten lässt. Mal sind es die Zeitschriften „Emma“ und „Missy Magazin“, die sich gegenseitig mit Vorwürfen und Anschuldigungen überhäufen, obwohl es noch vor sechs Jahren danach aussah, als wären da mehr als nur gemeinsame Grundtendenzen vorhanden. Und mal sind es andere Feministinnen.

All diese Frauen stehen für das gleiche Ziel – und dann das? Was treibt sie bloß an, die Ebene der konstruktiven Auseinandersetzung so weit zu verlassen und in aller Öffentlichkeit derart scharf, verächtlich, intolerant und respektlos miteinander umzugehen?

Mit diesem Grabenkrieg diskreditieren sie nicht nur ihre eigene harte Arbeit für Frauenrechte und spielen auf unnötige Weise allen Frauenhasser_innen und Gegner_innen der Gleichberechtigung in die Hände. Sie reißen damit auch eine ohnehin schon viel zu zerfaserte Bewegung noch weiter auseinander. Und sie schaden vor allem in einer Art Dominoeffekt allen Frauen massiv, ganz besonders den weniger privilegierten. Denn sie werden unglaubwürdig und machen sich – und damit den Feminismus und das Streben nach Gleichberechtigung – lächerlich.

Gleichberechtigung erreichen wir nur solidarisch und gemeinsam

Es wird sicher nie möglich sein, einen vollständigen Konsens zu finden zwischen all den verschiedenen feministischen Strömungen. Dazu sind die einzelnen Standpunkte – ob zu Prostitution, zu Männern, zu Hausfrauen oder auch nur zu dem besten Weg zur Gleichberechtigung – viel zu weit auseinander.

Aber wenn all die öffentlich aktiven Feministinnen sich nicht zusammenraufen, wenn sie nicht aufhören, sich weiter gegenseitig anzugreifen und abzuwerten – dann könnten sie eigentlich auch gleich aufhören zu kämpfen. Denn dann wird das tatsächlich noch in hundert Jahren nichts werden mit der realen Gleichberechtigung der Frauen.

Deshalb sollten sich die Frauenrechtlerinnen in diesem Land solidarisch an einen Tisch setzen und einen Grundkonsens erarbeiten. Sie sollten gemeinsame Strategien entwickeln und sich trotz aller Meinungsdifferenzen gegenseitig unterstützen. Denn uns alle eint so viel mehr als uns trennt! Nichts symbolisiert das besser als der weltweite #WomensMarch am 21. Januar 2017.

Eine nachhaltige Gleichberechtigung für alle Frauen erreichen wir nie, wenn jede Gruppe nur ihr eigenes Süppchen für ihr eigenes Clübchen kocht und den anderen in ihre Suppe spuckt. Gleichberechtigung erreichen wir nur solidarisch und zusammen.

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thea

2 Gedanken zu „Der größte Fehler der Feministinnen“

  1. Das sehr ich ein bisschen anders. In manchen Punkten Stimme ich vollkommen zu: wieso schreibt die Emma-Redaktion ausgerechnet jetzt ein Bashing anderer Feministinnen, anstatt sich mit Trump zu beschäftigen? Das finde ich kontraproduktiv.
    Aber: Kritik an der eigenen Szene oder Bewegung und ihren Leerstellen ist wichtig. Zum Beispiel kann ich nicht so tun, als würde Alice Schwarzer mit mir an einem Strang ziehen, wenn sie alle Muslima pauschal als unterdrückt bezeichnet oder alle muslimischen Männer als Gewalttäter. Ihre Positionen zu Pornografie und Prostitution Teile ich auch nicht, aber das nur nebenbei. Es muss doch möglich sein, Rassismus zu kritisieren? Es gibt viele unterschiedliche feministische Strömungen, und sie gewinnen an der Auseinandersetzung.
    Liebe Grüße
    Claire (Texttreff-Kollegin)

    Antworten
    • Liebe Claire, ich glaube, wir liegen da gar nicht so weit auseinander. Es geht mir nicht darum, dass wir alle mit sämtlichen Positionen und Äußerungen der anderen Feminist_innen übereinstimmen sollen.

      Aber die Beispiele, die ich im Artikel angeführt habe, sind keine Kritik im Sinne von konstruktiver, hilfreicher Kritik, sondern abfälliges, verächtliches, intolerantes und deshalb m. E. inakzeptables Verhalten gegenüber Frauen, die doch vermeintlich alle das gleiche Ziel haben. Das sie nur zusammen erreichen können.

      Auseinandersetzungen, durch die beide Seiten und die gesamte Bewegung gewinnen können, müssen m. E. fair, auf Augenhöhe und sachlich ablaufen, nicht selbstgerecht, von oben herab und aufhetzerisch wie in den verlinkten Beispielen. So erhalten sie sich vielleicht die Anhängerschaft ihres eigenen Grüppchens, aber ich denke, sie erweisen damit der Bewegung insgesamt einen Bärendienst.

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